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Räume für ein Katzenleben
Von Wewelsfleth über Schöppingen nach Berlin
Reportage von Katharina Bendixen | 2. Teil |
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Katharina Bendixen reiste für die aktuelle Ausgabe des Magazins poet zu drei Stipendienorten, ins Döblin-Haus (1. Teil), ins Künstlerdorf Schöppingen (2. Teil) und ins LCB (3. Teil). Die Illustrationen besorgte Miriam Zedelius.
Literaturorte sind nicht nur die Orte, an denen Literatur vorgelesen wird, sondern auch jene, an denen sie entsteht. Wohl nirgendwo geschieht das in geballterer Form als in Stipendiatenhäusern und Künstlerdörfern, von denen es im deutschsprachigen Raum mehrere Dutzend gibt. Autoren kommen dort für einige Monate unter und schreiben, frei von finanziellem Druck, an ihren Texten. Katharina Bendixen ist quer durch Deutschland gefahren und hat drei dieser Orte besucht. Sie ist mit den Stipendiaten spazieren gegangen, hat einen Hund kennengelernt und einiges über Kotzflecken, spukende Schriftsteller und das Leben von Katzen erfahren.
Teil 2
Schöppingen offenbart seine Nähe zu Kunst und Literatur schon schneller. Mit seinen achttausend Einwohnern ist die nordrhein-westfälische Gemeinde etwa fünfmal so groß wie Wewelsfleth. Auch hier verkehren die Busse nur im Stundentakt, von der Haltestelle aber weisen Schilder den Weg: »Künstlerdorf Schöppingen« steht dort in Weiß auf braunem Grund. Zwei ehemalige Gutshöfe beherbergen das heutige Künstlerdorf, das nicht etwa die Größe eines Dorfs, sondern eher die eines weitläufigen Bauernhofs besitzt. Sechs Ateliers und acht Wohnungen für Autoren sind auf dem Gelände verteilt, manche von der Größe einer Studentenbude, andere geeignet für eine Kleinfamilie. Selbst eine eigene Galerie gibt es hier, eine umfangreiche Bibliothek, einige Gemeinschaftsräume. Zwischen den Gebäuden wachsen Apfelbäume. Nicht weit entfernt sind Kirche, Supermärkte und eine Schlachtanlage für Schweine. Rund um Schöppingen erstreckt sich – flach und grün wie die Wiesen um Wewelsfleth – das Münsterland. Statt Backstein gibt es hier moderne Einfamilienhäuser, Gärten mit immer frisch gestutzten Hecken, einige Cafés und – gleich hinter dem Ortseingang – ein Asylbewerberheim.
Von Asylbewerbern und Schweinemast bekommen die Schöppinger Stipendiaten jedoch nicht viel mit, und dass Schöppinger Bürger sich ins Künstlerdorf verirren, kommt auch selten vor. Wenn vierzehn Künstler aufeinander treffen – ob nun Autoren, Komponisten, Maler oder Bildhauer –, tritt die Außenwelt in den Hintergrund. Da wird gemeinsam gekocht oder gegrillt, Tischtennis gespielt oder Tatort geschaut, es werden sich gegenseitig Texte vorgelesen oder künstlerische Arbeiten präsentiert – alles unter der wohlwollenden Aufsicht von Josef Spiegel, dem Leiter der Einrichtung. Er hat früher über Zensur in der Rockmusik geforscht und wohnt nun selbst in einem der alten Bauernhäuser. Da ist es Ehrensache, dass er jede Stipendiatenrunde auf einen Wein zu sich einlädt und zensierte Plattencover aus seiner schier unerschöpflichen Sammlung präsentiert. Das Leben in Schöppingen findet innerhalb des Künstlerdorfs statt: Lebensmittelpunkt ist im Sommer der Garten, im Winter das Kaminzimmer. Höchstens gelegentliche Ausflüge ins Steinfurter Kino sind mal drin oder gemeinsame Schwimmstunden im Schöppinger Vechtebad.
Selbst davon hält Wolfram Lotz sich fern. Er ist mit seinem Hund nach Schöppingen gereist und lässt seinen Alltag von dem Tier bestimmen: ein Spaziergang am Morgen, natürlich nicht allzu früh, Spaziergänge am Mittag und Nachmittag, essen, wenn der Hunger kommt. »Ich verlebe hier eine extrem ereignislose Zeit«, sagt Wolfram Lotz, der am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig studiert und normalerweise dort sowie im Schwarzwald lebt. »Es gibt nichts, was mich ablenken könnte.« Wolfram Lotz schreibt in erster Linie Theaterstücke, die bei den Ruhrfestspielen und am Deutschen Nationaltheater in Weimar aufgeführt wurden. Auch in Schöppingen arbeitet er an einem Stück: Er überarbeitet die ersten Szenen. Von seinem kleinen Zimmer aus hat er einen schönen Blick in den Garten des Künstlerdorfs, der langsam ergrünt. Zwei Monate lang kann er hier nur schreiben. Dennoch geht es mit dem Stück eher schleppend voran. »Aber das ist normal, für den Anfang brauche ich immer recht viel Zeit. In den ersten Szenen spüre ich, ob ich an der ganzen Konstruktion noch etwas nachjustieren muss. Das ist oft ein Zurückgehen, ein Ändern. Ich denke hier eher nach, als dass ich schreibe.«
Über vierhundert Stipendiaten haben auf dem weitläufigen Gelände schon nachgedacht, darunter Autoren wie Christoph Wilhelm Aigner, María Cecilia Barbetta oder Kathrin Schmidt und bildende Künstler wie Ruppe Koselleck, Daniele Buetti oder Mirjam Völker. Seit 1989 werden in Schöppingen Kunst, Literatur und Musik gefördert, um Grenzen schert man sich dabei nicht: Es gibt auch Stipendienplätze für interdisziplinäre Projekte oder für solche, die sich zwischen Kunst, Wissenschaft und Wirtschaft bewegen. Sind die vielen Romane, Gedichte, Theaterstücke, die Bilder, Skulpturen und Musikstücke, die in Schöppingen entstanden sind, dem jungen Dramatiker Wolfram Lotz bei seiner Arbeit bewusst? Eigentlich nicht. Aber: »Am ersten Tag habe ich neben meinem Bett einen Fleck entdeckt, der sich in den Teppich gefressen hat – eindeutig ein Kotzfleck. Da habe ich schon daran gedacht, dass hier Generationen von Autoren nachts besoffen ins Bett gefallen sind. Und ich bin kurz die Möglichkeiten durchgegangen, von wem dieser Fleck stammen könnte.«
Einen Einfluss der Umgebung auf seine Arbeit sieht Wolfram Lotz nicht: Dafür sei sein Aufenthalt zu kurz. »Ich kann mir aber vorstellen, dass es auf die Form ankommt«, sagt er. »Bei Lyrik zum Beispiel spielt der Raum, in dem man sich befindet, eine größere Rolle.« Genau wie für Eva Ruth Wemme in Wewelsfleth sind auch für Wolfram Lotz die Ruhe und die viele freie Zeit am wichtigsten. Ein Schöppinger Roman oder ein münsterländisches Theaterstück scheint jedenfalls nicht in Sicht zu sein. Vielleicht hat sich Josef Spiegel deshalb einen Trick ausgedacht, durch den das Künstlerdorf doch noch in die Weltliteratur eingehen könnte. Im Gespräch mit den Stipendiaten erwähnt er gelegentlich seinen Wunsch, selbst in Romanen aufzutauchen, so wie Hitchcock einst in seinen Filmen – ganz am Rande, beinahe unbemerkt. Nur wenige Stipendiaten können ihm das abschlagen, und so kommt es, dass in Peggy Mädlers Roman Die Legende vom Glück des Menschen ein alter Josef »aus Worten Spiegelbilder baut« oder in Christoph Wilhelm Aigners Novelle Eigenleben oder wie schreibt man eine Novelle eine akademische Wolke namens Josef Spiegel sommers wie winters durch die Schöppinger Hügel läuft. Vielleicht geben diese Anspielungen den Literaturwissenschaftlern der Zukunft einige Rätsel auf. Auch so kann ein Ort zum Literaturort werden.
Teil 3 | Die gesamte Reportage sowie weitere Reportagen über Literaturorte in poet 11.
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Katharina Bendixen
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