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Haruki Murakami
Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede
Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe
Köln: DuMont 2008
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In der japanischen Literatur gibt es zwei Phänomene: Banana Yoshimoto wird mit ihren teils naiven, teils esoterischen Romanen verehrt wie ein Popstar. Die Verehrung von Haruki Murakami fällt nicht geringer aus, doch er ist außerhalb Japans ungleich bekannter und erfolgreicher als seine Kollegin. Als „japanischen Hermann Hesse“ bezeichnete Helmut Böttiger ihn in einer Rezension seines Buches
Kafka am Strand. Auch als japanischen Gabriel García Márquez könnte man Murakami bezeichnen, denn sein Werk ist bevölkert von Schafsmännern, Ödipussen des 21. Jahrhunderts und Riesenfröschen, voller übersinnlicher Elemente und surrealer Momente – kurz: voller magischem Realismus.
Nun hat Murakami ein realistisches, da autobiografisches Buch über das Laufen geschrieben, und – nicht anders zu erwarten – es ist auch ein Buch über das Schreiben geworden.
Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede handelt von Murakamis Trainingsvorbereitungen auf den New York City Marathon 2005, von seinem ersten Marathon, den er 1983 für ein Magazin in Begleitung eines Fotografen von Athen nach Marathon absolvierte, und von seinem längsten Marathon, den Ultramarathon um den Samora-See auf Hokkaido, bei dem er sich ab dem 55. Kilometer immer wieder sagte: „Ich bin kein Mensch, nur eine Maschine. Deshalb fühle ich überhaupt nichts. Bewege mich nur vorwärts.“ Zwischen den Beschreibungen dieser Marathons und ihrer vorausgehenden Trainingseinheiten finden sich Reflexionen über das Leben und das Laufen und das Schreiben und Murakami selbst, die zwischen entwaffnender Ehrlichkeit und erschlagender Schlichtheit schwanken.
„Als Schriftsteller habe ich eine sehr enge Beziehung zu meiner Muttersprache“, heißt es da zum Beispiel. Oder: „Ich bin kein Mensch, der sich für Mannschaftssportarten eignet. Ob das nun gut oder schlecht ist, so bin ich nun mal.“ Oder: „Es ist für mich das erste Mal – wie vermutlich für die meisten –, dass ich älter werde und die damit verbundenen Gefühle und Veränderungen durchlebe.“ Erschreckend naiv, möchte man meinen, aber es kommt noch schlimmer, denn manchmal fällt Murakami von diesem unmittelbaren Tagebuchgestus, der auch seine Romane auszeichnet, doch dort innerhalb der vielschichtigen Handlungsstränge einen Sinn hat, in Plaudereien: „Die Regenzeit, die normalerweise Anfang Juli aufhört, zog sich fast bis zum Ende des Monats hin. […] Das soll alles von der globalen Erwärmung kommen. Vielleicht stimmt das, vielleicht auch nicht. Einige Wissenschaftler sagen ja, andere nein. Es gibt Beweise dafür und Beweise dagegen.“ Es könnte sein, es könnte nicht sein, möchte man hinzufügen, und: unter Umständen: ja, unter Umständen: nein.
Wenn Murakami jedoch vom Laufen und Schreiben berichtet, verlieren seine Aufzeichnungen ihre Einfältigkeit, auch wenn sie bei weitem nicht die Tiefe erreichen, die seine Romane auszeichnet. „Das meiste über mich selbst und über das Schreiben von Romanen habe ich durch mein tägliches Lauftraining gelernt“, berichtet Murakami und offenbart sich als extrem disziplinierter Zeitgenosse, als „ein stummer, emsiger Dorfschmied“. Er vergleicht das Laufen mit dem Schreiben: Ähnlich wie der Läufer muss auch der Schriftsteller über eine grenzenlose Ausdauer und Fähigkeit zur Konzentration verfügen. Wie man beim täglichen Laufen nicht einmal aussetzen darf, soll man auch das Schreiben täglich betreiben, seine Grenzen allmählich erweitern und nach und nach die eigene Messlatte immer höher legen. Dadurch verbessern sich die Schreibergebnisse, wie auch die Muskulatur beim Joggen immer kräftiger wird. „Ein Roman hat eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Marathonlauf“, fährt Murakami fort, denn es geht um das Erreichen von selbstgesteckten Zielen: „Die Motivation eines Schriftstellers liegt in ihm selbst, und er sollte keine Bestätigung durch Äußerlichkeiten anstreben oder sich an äußeren Maßstäben messen.“ Diese Erkenntnisse sind vielleicht nicht besonders innovativ, aber aus dem Mund eines Schriftstellers, der mit den bedeutendsten Literaturpreisen seines Landes ausgezeichnet wurde, doch recht sympathisch. Tiefgehendere Aussagen sind von Murakamis „Erinnerungen, die sich um das Laufen drehen“, wie er das Buch im Vorwort bezeichnet, jedoch nicht zu erwarten.
Es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen dem Laufen und dem Schreiben, den Murakami betont: Während man seinen läuferischen Höhepunkt mit spätestens Ende 40 erreicht, weil der Verfallsprozess des Körpers nicht mehr aufzuhalten ist, ist der schriftstellerische Höhepunkt individuell unterschiedlich. Bleibt zu hoffen, dass mit
Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede nicht die Abwärtskurve nach Murakamis schriftstellerischen Höhepunkt beginnt, sondern nur ein autobiografisch-poetologisches Tief darstellt, das von einer literarischen Aufwärtskurve bald wieder ausgeglichen wird.