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Michael Stavarič
Terminifera
Roman
Residenz 2007
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Lois Lane hat keinen richtigen Namen und keine Eltern. Er ist in einem Heim im Arlberg aufgewachsen, hat die Anweisungen von Mr. Spock befolgen und damit leben müssen, dass Superman seinen Kopf unter Wasser drückt. Aber der erwachsene Lois kommt doch irgendwie zurecht als Krankenpfleger in Wien, auch wenn er sich auf keinen Menschen so gut verlassen kann wie auf Sammy, seinen Hund.
Michael Stavarič' zweiter Roman
Terminifera zeichnet genau wie sein erster Roman
stillborn das Porträt eines Großstadtmenschen, der sich eine Welt schön denkt, die ihn eigentlich extrem skeptisch macht. Wie die
Chortoicetes Terminifera, „eine Wanderheuschrecke, selten genug in Wien“, ist auch Lois ein rares Exemplar. Wie soll einer, der als Kind bei einer Wanderung seinen Verpflegungsbeutel vergisst, von keinem Kameraden etwas abbekommt und deshalb vor Hunger fast zusammenbricht, zu einer anderen Erkenntnis kommen als zu dieser: „Kein Weg führt daran vorbei, dass man ein Leben lang alleine ist“? Wie soll einer, der im Fluss fast ertrinkt, sich mit letzter Kraft retten kann und sich im Heim für seinen umgeknickten Fuß entschuldigen muss, etwas anderes von sich meinen als das: „Ich glaube, mein Denken, das mag man seltsam finden“?
Lois hat Recht, sein Denken ist seltsam, es ist bisweilen traurig, bisweilen komisch, meist beides gleichzeitig, und das hat seinen guten Grund. Lois erscheint wie ein vollends humorloser Zeitgenosse, dessen Selbstbeobachtungen Stavarič jedoch zu großer Komik verhilft: „Ehrlich, mit meinen Träumen, da stimmt etwas nicht, von Grund auf. Da ist ein Gefühl von Vanille, aber es gibt überall nur Erdbeereis. Das hat doch was zu bedeuten.“ Stavarič erschafft in
Terminifera nicht nur einen überzeugend verrückten Protagonisten, sondern stellt ihn auch auf eine sprachlich einzigartige Art und Weise dar: Er findet Formulierungen, Bilder, Sätze, die nur ein Mensch wie Lois produzieren kann.
Stavarič ist dabei ein Autor der Lücken, die durchdachte Unvollständigkeit ist sein Prinzip. Genauso elliptisch wie einige Sätze des Romans ist die gesamte Struktur des Buches. In siebenundzwanzig kurzen Kapiteln lässt Stavarič seinen pragmatischen Protagonisten erzählen: von seiner Arbeit im Krankenhaus; von seiner Kindheit im Heim im Arlberg; von seiner Nachbarin Kristina, die ihn irgendwie zu mögen scheint, womit Lois aber nicht viel anfangen kann; von der Pflegerin Mona, die ihn ebenfalls mag; von einem merkwürdigen Pfleger, der Röntgenbilder sammelt, aber nur solche von symmetrischen Köpfen; von der Einlieferung eines Massenmörders und davon, wie ein Alleinstehender im Krankenhaus stirbt. Es sind skurrile Geschichten, die Lois erlebt und aus deren Bruchstücken sich sein Bild der Welt zusammensetzt: einer unerklärlichen Welt, in der man mit sehr viel gutem Willen aber existieren kann.
„Was muss man tun, mit wem, damit man seinen Frieden findet?“, fragt sich Lois auf der Suche nach einem Existenzprinzip. Vorübergehend könnte man
Terminifera lesen, für einen kleinen literarischen Frieden zumindest. Und erwartungsvoll sein, was das kommende Wochenende betrifft: Wer bisher noch keinen Favoriten der diesjährigen Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt hatte, hier ist er.