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Juli Zeh
Schilf
Roman
Schöffling & Co 2007
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So erstaunlich unterschiedlich sie in Genres und Themen sind, weisen die Romane von Juli Zeh doch immer dieselben drei Eigenschaften auf: Sie sind erstens extrem gut konstruiert, doch leider sind diese Konstruktionen immer sehr spürbar. Sie sind zweitens von sprachlicher Außerordentlichkeit, doch leider benutzen die Wörter häufig Stelzen oder sogar Krücken. Die Konstruiertheit von Sprache und Plot wird Zeh selbst in wohlwollenden Rezensionen regelmäßig zur Last gelegt. Erstaunlich selten aber werden die Figuren der Zeh-Romane betrachtet, die – dritte Eigenschaft – fast immer übertrieben und unglaubwürdig sind. Sie sind Oberintellektuelle, fast nicht mehr von dieser Welt. Sie reden, als würden sie philosophische Traktate verfassen; sie denken, als wäre die Vernunft ein zahmes, kontrollierbares Tier; sie fühlen, als würden sie emotionale Reihenfolgen beachten; und regelmäßig rasten sie aus, als wären Reden, Denken, Fühlen nicht vorhanden.
In Zehs neuem Roman
Schilf – einer aufwühlenden Kombination aus einem Kriminalroman, einer Geschichte einer Freundschaft und einem Versuch über die Zeit – sind es vor allem die Physiker Sebastian und Oskar, deren Exzentrik zunehmend anstrengt: Sie lernen sich an der Freiburger Universität kennen und gehen bald nur noch in „Dandykostümen“ aus „Cutaway mit langschößiger Jacke, gestreiften Hosen und silberner Halsbinde“ in die Vorlesungen oder „untergehakt am Ufer der Dreisam spazieren“. Oskar kommt dabei die Rolle des besonders ausgefallenen Charakters zu: „An seinem Körper wagt der Stoff nur an den richtigen Stellen Falten zu werfen.“ Und: „In seiner Gegenwart setzen sich Frauen auf ihre Hände, um nicht versehentlich nach ihm zu greifen.“ Sowohl Sebastian als auch Oskar aber reden, wie Juli-Zeh-Figuren eben reden: Sebastian sagt zu Oskar: „Ich will der Boden sein, der unter deinen Füßen zittert, wenn dich die Rache der Götter trifft.“ Und Oskar sagt: „Sebastian zu kennen, hat mich gelehrt, die Willkür der Götter zu fürchten.“ Bald hat sich die Freundschaft zwischen den beiden zu einem kühlen Konkurrenzdruck entwickelt. Und Sebastians Sohn wird entführt.
Nun kommt also ein Kommissar ins Spiel, der zunächst beweist, dass es auch normal geht, zumindest in der Vergangenheit: Schilf, der aus Stuttgart nach Freiburg zur Hilfe eilt und den Fall schließlich löst, war immerhin „vor gut zwanzig Jahren einmal ein ganz normaler Mensch“, obwohl er als Kind mit Schmetterlingen „erkenntnistheoretische Diskurse“ führte und seit jeher daran glaubt, „dass sich jenseits der wahrnehmbaren Welt eine Art Ursubstanz von Realität“ befindet. Nach einem nicht genau bezeichneten „Bruch“ aber wählte er „aus den Resten seiner Existenz“ nur „die funktionierenden Bestandteile“ wie die Nahrungsaufnahme und die „Benutzung“ von „öffentlichen Verkehrs- und Genussmitteln“. Insgesamt ist er nun ein „Künstler des Weitermachens“, der seine Wohnung seit einem Monat mit einem Mädchen teilt, das eine „geradezu unglaubwürdige Stupsnase“ und eine ebensolche Biografie aufweist. Gewollt ausgefallen sind auch weitere Nebenfiguren: Maike, Sebastians Frau, gehört „zu der Sorte Frau, die ein Mann aufs Pferd ziehen will, um mit ihr in den Sonnenuntergang zu reiten“, und Rita Skura, zweite Kommissarin, stellt einen „anatomischen Ausnahmezustand“ dar: Sie besitzt einen Körperbau wie eine „Parodie auf den männlichen Wunschtraum“.
Wie sich
Adler und Engel auf Max und Clara und
Spieltrieb auf Ada und Alev verlassen, baut auch
Schilf über weite Strecken auf die Exzentrik und die Intellektualität vor allem von Oskar, Rita Skura und Schilf. Die Überzogenheit der Figuren macht den Roman zwar interessant und spannend, verstärkt jedoch gleichzeitig die Konstruiertheit der Handlung und der Sprache. Lässt man die zahlreichen Personenbeschreibungen beiseite, ist die Geschichte in wenigen Stichpunkten zusammenzufassen: Es geht um Zeit und Paralleluniversen, um die Idee eines Zeitmaschinenmörders, einen Artikel im
Spiegel und eine Sendung im
ZDF, um einen geköpften Fahrradfahrer und einen Schmetterlingssammler. Mückenstiche überführen, und Freundschaften zerbrechen. Das alles ist spannender erzählt als in einem Tatort und plastischer beschrieben als in den meisten deutschsprachigen Gegenwartsromanen. Aber es krankt an der allgegenwärtigen Konstruiertheit von Plot, Sprache und Figuren, an einer schriftstellerischen Überangestrengtheit, die anstrengt.