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Silke Scheuermann
Die Stunde zwischen Hund und Wolf
Roman
Schöffling & Co 2007
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Das ist kein Verriss. Das ist eine Verwunderung, die Verwunderung darüber, dass Silke Scheuermanns Roman
Die Stunde zwischen Hund und Wolf das Feuilleton seit drei Wochen derart begeistert. Es ist ein lesenswertes, schönes Buch, so viel sei vorweggenommen, aber – und auch das sei bereits gesagt – es hält nicht das, was die Feuilletons versprechen. Ob man das dem Buch oder dem Markt zur Last legen sollte, ist fraglich.
Zunächst einmal könnte eine Verwunderung über die Bezeichnung Roman erfolgen, denn es fällt schwer, die einhundertundsiebzig großzügig gesetzten Seiten, die sich mit drei, vielleicht vier Personen über einen Zeitraum von drei, vielleicht vier Wochen beschäftigen, als einen Roman zu bezeichnen. Aber an solche Zuschreibungen ist man mittlerweile gewöhnt. Man könnte für diese Genre auch die Bezeichnung Kurzroman wieder einführen, die in Vergessenheit geraten ist und sich doch gerade für die kurzen Formen der heutigen jungen Schriftstellergeneration eignet. Kurzroman klingt sympathisch, so als habe man mit Absicht nur wenige Seiten geschrieben und wolle sich trotzdem bereits auf dem Cover dafür entschuldigen.
Eine Verwunderung über Inhalt und Sprache also. Der Plot ist schnell zusammengefasst: Die Ich-Erzählerin kommt nach jahrelanger Abwesenheit zurück nach Frankfurt, trifft dort auf ihre Schwester, mit der sie eigentlich nichts mehr zu tun haben möchte, und lernt deren Freund Kai kennen. Fasziniert von Kai, lässt sie sich nach und nach auch wieder auf eine Annäherung mit Ines ein und stellt bald fest, dass Ines Alkoholikerin ist. Zwischen der Ich-Erzählerin, Ines und Kai entsteht ein Netz aus Abhängigkeiten, Begehren und Abstoßen, eine kopflastige menage à trois. Das Übliche also. Natürlich sollen hier keine Forderungen nach neuen, einfallsreicheren Handlungen erhoben werden, denn Scheuermanns Plot funktioniert ja trotz seiner Konstruiertheit sehr gut. Verwunderlich ist nur, dass ein solch einfacher und vordergründig konstruierter Plot eine solche Begeisterung hervorrufen kann.
Die Protagonisten sind emotionale Autisten: „... so, wie wir drei uns vereinzelt im Raum befanden, kam es mir vor, als bildeten wir ein System verschiedener rotierender Planeten, jeder Einzelne auf seine Art mit den Verhältnissen der eigenen Welt befasst und in völlig getrennten Umlaufbahnen laufend.“ Scheuermann hat die drei Figuren ihres kurzen Kammerspiels genau entworfen und schickt sie unbarmherzig durch das kalte Frankfurt, wo Vögel gegen Scheiben fliegend sterben und in der Bar Orion die Getränke zu teuer sind. Nicht wenige Szenen spielen mit den üblichen Zutaten: Filme, Zigaretten, natürlich Alkohol. Das wirkt nicht künstlich oder aufgesetzt, aber es ist sich seiner Wirkung durchaus bewusst. Das ist jedoch nicht schlimm, denn genau wie der Plot funktionieren auch die einzelnen Szenen meistens sehr gut. Aber da sind doch einige literarische Wermutstropfen, warum also diese Begeisterung?
Und die Verwunderung über die Sprache: Sie ist beiläufig und lapidar. Das erzeugt einen erzählerischen Sog, der manchmal ein wenig kalkuliert ist, aber immer seine Wirkung erfüllt. „Wir waren die einzigen Gäste. Wir setzen uns an einen winzigen Zweiertisch. Der Tisch stand zu eng an der Wand, so dass Kai ihn anhob und ein Stück wegrückte. Er war aus Aluminium und schien gar nichts zu wiegen. Ich sah auf, der große Spiegel an der Längsseite des Raums verdoppelte seine Aktion, auch sein Gesicht war bleich, ich wandte mich schnell ab.“ Das ist schön und unterkühlt, lakonisch und gleichzeitig von einer wohldosierten Genauigkeit. Aber es unterscheidet sich nicht von anderen deutschen Romanen und Erzählbänden: In Schwimmbädern, zoologischen Gärten, Museen oder Bistros werden Atmosphären geschaffen und sprachlich ausgestaltet. Das funktioniert, wenn der Autor es beherrscht, und Silke Scheuermann tut es. So ist also auch
Die Stunde zwischen Hund und Wolf ein atmosphärisches Buch, das fesselt und mitnimmt.
Trotz allem aber fehlt dem Roman das gewisse Etwas: ein liebenswertes sprachliches Stolpern, eine irritierende Wendung im Plot oder ein Aufbrechen der glaubwürdigen Charaktere – Eigenschaften also, die das allgemeine Jubilieren erklären würden.
Die Stunde zwischen Hund und Wolf wirkt so glatt und berechnet. Oder sind nur die Erwartungen zu groß, hält man ein Buch in der Hand, das von allen großen Zeitungen in den Himmel gelobt wurde? Vielleicht sollte man also vorsichtshalber in Zukunft Rezensionen in kleineren Dosen genießen, um selbst noch jubilieren zu können, wenn schon einmal eine neue große literarische Hoffnung entdeckt wird?