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Jón Kalman Stefánsson

Verschiedenes über Riesenkiefern und die Zeit

Sommer in Norwegen

Jón Kalman Stefánsson | Verschiedenes über Riesenkiefern und die Zeit
Jón Kalman Stefánsson
Verschiedenes über Riesenkiefern und die Zeit
Roman
Reclam Leipzig 2006
Es scheint ein neues literarisches Rezept zu geben: Man nehme einen naiven, etwas altklugen acht- bis zwölfjährigen Jungen und kombiniere ihn mit großen geschichtlichen Ereignissen: zum Beispiel den Terror-Anschlägen des 11. September – heraus kommt Jonathan Safran Foers Extrem laut und unglaublich nah – oder mit dem Bosnischen Bürgerkrieg – es entsteht Saša Stanišics Wie der Soldat das Grammofon repariert. Als zweite Zutat eignet sich aber auch ein einfacher norwegischer Sommer in den siebziger Jahren, wie in Jón Kalman Stefánssons Roman Verschiedenes über Riesenkiefern und die Zeit. Mit ein bisschen Populärmusik aus Vittula von Mikael Niemi abgeschmeckt, ergibt sich ein schönes kleines Buch über den Sommer eines isländischen Jungen in Norwegen.

„Ich gehe ins Ausland, genieße hohes Ansehen, lerne aber auch, wie es ist, traurig zu sein“ heißt es in einer Kapitelüberschrift. Zum ersten Mal verlässt der zehnjährige Junge Island und besucht seine Großeltern und seine Halbschwester, die in Norwegen in einem Vorort von Stavanger leben. Er lernt zwei Jungen in der Nachbarschaft kennen, beschließt mit ihnen, nicht erwachsen zu werden und den Rest des Lebens im Wald zu verbringen – ein Vorhaben, das bereits am ersten Abend scheitert –, verkauft die Unterhosen seiner Halbschwester an Jugendliche und spricht lange mit Helge, dem Außenseiter und Wunderkind. Und schließlich schenkt ihm seine Halbschwester eine Platte von den Beatles, worauf in dem kleinen Vorort verspätet das Beatles-Fieber ausbricht.

Es passiert nicht viel in Stefánssons Roman, aber was passiert, gewinnt durch die Sicht des zehnjährigen Jungen an Poesie und Authentizität. Seine ständigen Begleiter, Tarzan und Flinker Hirsch, schützen ihn vor nächtlichen Spinnenangriffen, denn „wenn man zehn Jahre alt ist, wacht man selten nachts auf, und das ist gut so.“ Wird man aber doch einmal munter und muss mit einer Riesenspinne kämpfen, können Tarzan und Flinker Hirsch eine große Hilfe sein. Solche phantasievollen Episoden und die naiven Beobachtungen des Jungen machen den Reiz des Romans aus und geben ihm eine kindlich-dichterische Faszination.

Und genau das ist das Problem an Verschiedenes über Riesenkiefern und die Zeit. Es fehlt die Eigenständigkeit, die besondere Schreibweise, die den Roman von anderen Büchern aus kindlicher Perspektive unterscheidet. Diese Eigenständigkeit sucht man vergeblich, vielmehr zieht sich Stefánsson vollkommen in die naive Erzählperspektive zurück und gewinnt ihr keinen individuellen Mehrwert ab. Kennt man die weiteren Romane nicht, an die Verschiedenes über Riesenkiefern und die Zeit erinnert, so ist es ein wunderbar sommerliches Buch, wie eine warme Kerze für dunkle Winterabende. Hat man die anderen Bücher jedoch schon gelesen, scheint Stefánssons Buch wie ein skandinavischer Wurmfortsatz dieses Genres.
Jón Kalman Stefánsson, geboren 1963 in Reykjavík, schreibt Lyrik und Romane. Zuletzt erschien im Deutschen von ihm Das Knistern in den Sternen. Verschiedenes über Riesenkiefern und die Zeit wurde für den Großen Preis des Nordischen Rates nominiert. 2005 erhielt Stefánsson den isländischen Literaturpreis.

Katharina Bendixen     16.10.2006

Katharina Bendixen
Prosa
Reportage
Gespräch