POETENLADEN - neue Literatur im Netz - Home
 
 
 
 
 
 
 

Rana Dasgupta

Die geschenkte Nacht

Moderne Märchen mit Moral

Rana Dasgupta | Die geschenkte Nacht
Rana Dasgupta
Die geschenkte Nacht
Roman
Karl Blessing, 2006
Indische Autoren sind in Deutschland weitgehend unbekannt – das dürfte sich auch durch den diesjährigen Gastland-Schwerpunkt Indien zur Frankfurter Buchmesse nicht geändert haben. Immerhin haben Salman Rushdie, Arundhati Roy und Vikram Seth internationalen literarischen Ruhm erlangt, und anlässlich des Buchmesse-Schwerpunkts haben sich wenige Verlage entschlossen, doch einmal einen indischen Roman in ihr Programm aufzunehmen. Einer dieser neu erschienenen Romane ist Die geschenkte Nacht von Rana Dasgupta – und er macht Lust auf mehr Literatur aus Indien.

Die geschenkte Nacht ist eher ein Erzählungsband als ein Roman, doch sind die einzelnen Geschichten kunstvoll miteinander verbunden: Ein Flugzeug muss auf einem nicht näher bestimmten Flughafen notlanden, und ein Schneesturm verzögert den Weiterflug um eine ganze Nacht. Nicht alle Passagiere kommen in nahegelegenen Hotels unter, dreizehn müssen die Nacht auf dem Flughafen verbringen. Und einer von ihnen kommt auf die Idee, sich die Zeit mit dem Erzählen von Geschichten zu vertreiben: dreizehn Geschichten in einer geschenkten Nacht der Ruhe und des Zeitvertreibs. Die eigentliche Rahmenhandlung verliert sich im Laufe des Romans, über die dreizehn Erzähler und Zuhörer wird nicht viel berichtet, denn im Vordergrund stehen die Geschichten.

Es sind Geschichten aus verschiedenen Ländern, aus Deutschland, Frankreich, der Türkei oder Argentinien, moderne Märchen, die Dasgupta erdacht hat und die er eine an die andere reiht. Von einem Erinnerungsredakteur wird berichtet, der in einer Erinnerungsagentur angestellt ist und an den schlechten Erinnerungen anderer Menschen nach und nach zerbricht. Von Zauberkeksen, die eine Frau in einen gewinnträchtigen Laden verwandeln, bis die Verwandlung nur noch zur Hälfte rückgängig gemacht werden kann und die Frau dadurch wochenlang in einen Zustand zwischen Frau und Haus zwingt. Von einer Liebesgeschichte, die nur durch einen Vogel ohne Flügel zu einem guten Ende findet, oder von einer Schneiderin, die personenbezogene Bettdecken näht und bestickt und damit das Leid ihrer Kunden lindert.

Dasguptas Erzählungen sind wie alte Märchen sehr moralisch: Es siegt fast immer das Gute, und siegt es einmal nicht, so verliert zumindest das Böse. Aber diese Moral kommt ohne erhobenen Zeigefinger aus, vielmehr bereichert sie das Buch um eine unterschwellige, leichte Facette, die fast ein Wohlgefühl beim Lesen erzeugt. Die Geschichten der geschenkten Nacht bewegen sich zwischen der Realität und einer Traumwelt, in der alles möglich scheint. Dem Vogel wachsen wieder Flügel, die Frau wird auch ohne Zauberkeks wieder ein vollständiger Mensch. Diese Erweiterung der Realität um eine übernatürliche Komponente ist typisch für die indische Literatur und sogar für die des Morgenlandes im Allgemeinen, denkt man beispielsweise an Haruki Murakami oder Banana Yoshimoto. So bleibt nach dem Lesen die Hoffnung, dass der Gastlandauftritt Indiens die Übersetzungen vielleicht doch erhöhen wird, eine leise Hoffnung.
Rana Dasgupta, 1971 in Canterbury geboren, hat in den USA, Frankreich und Malaysia gelebt und arbeitet heute als freier Autor in Delhi. Sein Debüt kam in die Top Ten der indischen Bestsellerliste und wurde für den wichtigsten indischen Literaturpreis, den Hutch Crossword Book Award, nominiert.
Autoren-Website  externer Link

Katharina Bendixen     09.10.2006

Katharina Bendixen
Prosa
Reportage
Gespräch