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Auf das Wie kommt es an

Giwi Margwelaschwili im Gespräch mit Katharina Bendixen
Giwi Margwelaschwili

Foto: Zangala (frei)

Giwi Margwelaschwili, 1927 als Sohn georgischer Emigranten in Berlin geboren, wurde 1946 mit seinem Vater vom sowje­tischen Geheimdienst entführt. Erst 1987 konnte er nach Deutschland zurückkehren. Giwi Margwelaschwili erhielt u.a. den Branden­burgischen Literatur-Ehrenpreis für sein Gesamt­werk und die Goethe-Medaille. Zuletzt erschienen das Theaterstück Zuschauerräume und der Erzählband Vom Tod eines alten Lesers im Verbrecher Verlag.
Katharina Bendixen: Als Ontotextologe gehen Sie davon aus, dass der Mensch von den textuellen Grundlagen beispielsweise der großen Religionen, aber auch von anderen Werken geprägt wird und somit ein »Textweltmensch« ist. Welchen Einfluss hat diese Einstellung auf Ihren Anspruch an Literatur?

Giwi Margwelaschwili: Ich bemühe mich als Autor um den produktiven Text, nicht um den reproduktiven Text. In der traditionellen Literatur prägte der Sinn den Text, aber seit der literarischen Moderne, also ungefähr seit Proust, ist es umgekehrt: Der Text prägt den Sinn, der Text dominiert über den Sinn.

Giwi Margwelaschwili | Zuschauerräume
Giwi Margwelaschwili
Zuschauerräume
Ein historisches Märchen
Verbrecher Verlag 2008
K. Bendixen: Sie meinen damit, dass man etwas nicht nur erzählt, sondern gleich­zeitig auch thema­tisiert, dass man gerade er­zählt …

G. Margwelaschwili: Auf das Wie kommt es an. Dem lite­rarischen Text ist mit den Jahr­hunderten viel ge­nommen worden: Der Film kann zum Beispiel die Unmit­tel­barkeit des Berichts viel besser dar­stel­len. In jeder künst­leri­schen Branche gibt es Vertei­di­gungs­instinkte, und um die Lite­ratur zu ver­teidigen, hat man verschie­dene künst­leri­sche Tricks erfunden: den monologue intérieur bei Proust, den Bewusstseinsstrom bei Joyce. Das sind Versuche des Romans, seine eigene Aus­drucks­form zu finden und diese gegen andere Künste zu ver­teidigen. In dieser Hin­sicht exis­tiert ein großer Strom an Pro­dukti­vität, und ich selbst sehe mich im Rahmen dieser Bemü­hungen.

K. Bendixen: In welchen zeitgenössischen Autoren finden Sie diesen Anspruch wieder?

G. Margwelaschwili: Ich lese mit Vergnügen Italo Calvino. Dieser Autor macht genau das, was ich beschrieben habe: Er verfasst einen produktiven Text und verlangt nicht nur, dass der Leser mitgeht, sondern auch, dass er sich einfügt und seine Tricks mitspielt. Das finde ich einfach wunderbar.

K. Bendixen: Lesen Sie auch Autoren der jungen Generation?

G. Margwelaschwili: Ich verfolge nicht, wer jung ist und wer älter. Was mir unter die Augen kommt und was mir vor allem dem Titel nach gefällt, das lese ich. Unter den Franzosen gibt es einige junge Autoren, die mich faszinieren. Vincent Ravalec zum Beispiel lese ich mit Vergnügen.

K. Bendixen: Gibt es Literatur, die Sie ablehnen?

G. Margwelaschwili: Nein, die gibt es gar nicht. Wenn ich neben der produktiven Literatur von einer reproduktiven Literatur spreche, die nur Bilder herstellt und weiter nichts, dann ist das nicht abschätzig gemeint. Die ganze große traditionelle Literatur ist so geschrieben, und wenn das gut gemacht ist, habe ich mein Vergnügen daran. Doch als Schreibender genügt mir das nicht. Ich möchte mit dem Text spielen und dem Leser sagen: Komm, spiel mit! Das reizt mich. Einfach etwas Interessantes oder Rührendes zu erzählen, das ist nicht meins. K. Bendixen: Inwiefern hat sich in den letzten Jahren oder Jahrzehnten die Literatur verändert?

K. Bendixen: Inwiefern hat sich in den letzten Jahren oder Jahrzehnten die Literatur verändert?

G. Margwelaschwili: Es ist überall dieselbe bedauernswerte Lage, dass das Textkino den produktiven Text zurückdrängt. Da ist Deutschland keine Ausnahme. Das Textkino hat überhand genommen. Selbst in Frankreich, wo mit dem nouveau roman ein gewaltiger Schlag gegen das Textkino geführt wurde, ist im Großen und Ganzen der produktive Text zurückgegangen. Französische Schriftsteller, die produktive Bücher schreiben, sollen es dort auch schwer haben.

K. Bendixen: Sie haben das Gefühl, es als produktiver Autor auf dem Markt schwer zu haben …

G. Margwelaschwili: Ja, sehr. Wenn ich lese, sind die Leute entzückt. Aber die Bücher werden nicht gekauft. Die großen Verlage haben mich höflich entlassen, so dass ich jetzt beim Verbrecher Verlag gelandet bin. Vor ein paar Tagen hatte ich eine Lesung, bei der drei oder vier Leute erschienen. Nach Officer Pembry und Zuschauerräume hatte ich geglaubt, dass mehr kommen würden. Mir wird auch versichert, dass ich eine Fangemeinde habe, die schon auf das nächste Buch wartet. Aber ich komme hin, und der Saal ist fast leer. Das ist nicht gerade ermutigend. .

K. Bendixen: Sind die Leser geistig zu träge, um sich auf produktive Texte einzustellen?

G. Margwelaschwili: Es ist einfach so, dass die Marktwirtschaft mit guter Reklame arbeitet, und gute Reklame heißt teure Reklame. Dazu entschließen sich wenige Verlage. Ich glaube, dass mir die Reklame gefehlt hat und bis heute noch fehlt. Es müsste ein General der Literatur sagen: Den müsst ihr lesen, Leute! Wenn das einer sagte – großer Konjunktiv! –, dann sähe die Sache ganz anders aus. Leider sagt das keiner von den Generälen.

K. Bendixen: Also liegt es eher an den Strukturen und weniger an den Lesern?

G. Margwelaschwili: Ich habe nicht den Anspruch, dass ich der absolute Autor wäre und mir alle Leser folgen müssten. Es ist vielmehr meine tiefe Überzeugung, dass man einen guten Text nicht für alle schreiben kann. Man hat immer eine Zielgruppe, für die man schreibt. Und ich glaube, dass meine Zielgruppe ausreichen würde, um einen guten Verkauf meiner Texte zu gewährleisten. Die Frage ist nur: Wie erreiche ich sie? Die Marktwirtschaft ist die Barriere. Da funktioniert nur, was propagiert wird. Der Verbrecher Verlag bemüht sich redlich, aber das ist trotzdem noch zu wenig.

K. Bendixen: Sie haben eine eigene Homepage. Wofür haben Sie die eingerichtet?

G. Margwelaschwili: Das ist auch eine Art der Reklame. Ich selber hätte das niemals gemacht, aber ein Freund hat darauf gedrängt. Er hat gesagt, dass ich anders nicht bekannt werde. Ich habe ihn das machen lassen, aber ich sehe da gar nicht hin, das interessiert mich nicht. Mein Freund hat mir versichert, dass Reaktionen kommen werden. Aber bisher ist nichts passiert, und die Seite gibt es schon eine ganze Weile.

K. Bendixen: Nutzen Sie sonst das Internet? Lesen Sie dort beispielsweise Literatur?

G. Margwelaschwili: Nein, im Internet lese ich fast gar nichts. Das ständige Arbeiten mit dem Computer ist mir auf die Augen gegangen. Ich habe zwar Internet zu Hause, ich könnte das einschalten, aber ich möchte das nicht.

K. Bendixen: Ist das Internet für die Literatur Ihrer Meinung nach von Vorteil oder von Nachteil?

G. Margwelaschwili: Natürlich ist das Internet eine kolossale Erfindung. Aber ist es literaturfreundlich? Meistens schauen doch die Leute nur rein, wenn sie etwas kaufen oder etwas spielen wollen. Kann man im Internet Bücher lesen? Um richtig zu lesen, braucht man ein Buch und eine Kuschelecke. Da findet ein ganz anderes Reingehen in die Literatur statt. Das Internet ist dafür zu elektronisch.

K. Bendixen: Und was ist mit Lyrik? Man müsste nicht blättern, hätte ein ganzes Gedicht auf einer Seite …

G. Margwelaschwili: Das geht gar nicht. Lyrik ist doch introspektiv angelegt, wie soll man die über ein Gerät richtig erfassen? Nein, das Buch ist unersetzbar, es wird immer bleiben, obwohl mit den elektronischen Medien ein ganz großer Rivale gekommen ist. Aber es ist unmöglich, dass das Buch jemals ersetzt wird. Richtig lesen kann man nur mit einem Buch.

K. Bendixen: Sie haben lange in Georgien gelebt, in den neunziger Jahren sind Sie nach Deutschland zurückgekehrt. Wie haben Sie die Rückkehr empfunden?

G. Margwelaschwili: Ich nenne die Zeit in Georgien meine Nach­kriegs­gefangen­schaft. Ich war dort buchstäblich interniert. Ich war zwar frei, aber ich wusste, dass man mich nicht wieder hinauslassen würde. Nachdem man meinen Vater ermordet hatte, konnte man mich nicht mehr zurückgehen lassen. Aber ich bin ein deutschsprachiger Mensch geblieben. Deutsch ist meine Sprachheimat, und ich habe immer auf Deutsch geschrieben. Als das Ganze zusammenbrach, war ich natürlich neugierig zu erfahren, wie meine Texte in meiner Muttersprache aufgenommen würden. Deswegen bin ich in den neunziger Jahren hierher gekommen, hier habe ich meine ersten Verlage gefunden.

K. Bendixen: Haben Sie heute noch Verbindungen nach Georgien, oder grenzen Sie sich von dem Land ab?

G. Margwelaschwili: Ich grenze mich gar nicht ab. Ich habe dort zwei Enkelsöhne und eine Tochter, wir stehen in Verbindung, sie kommen manchmal her, ich fahre manchmal rüber, und wir telefonieren. Aber meine Sprachheimat ist hier in Deutschland, und die Sprachheimat bedeutet sehr viel, sie bedeutet fast den ganzen Menschen.

K. Bendixen: Vielen Dank für das Gespräch.
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