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Jakob Hein

Herr Jensen steigt aus

Die Jensen-Methode

Jakob Hein | Herr Jensen steigt aus (Roman - Piper 2006) Herr Jensen ist Briefträger. Herr Jensen wird arbeitslos. Herr Jensen sieht fern. Herr Jensen muss eine Umschulung machen. Herr Jensen wirft seinen Fernseher aus dem Fenster. Herr Jensen schließt sich ein. So lautet die Kurzzusammenfassung des Romans Herr Jensen steigt aus von Jakob Hein, die sowohl Aufschluss über den Inhalt als auch den Stil des Buches gibt. Herr Jensen ist ein armer Vogel, ein Verlierer, ein naiver Clown, an dem die Gesellschaft versagt hat. Er hat immer nur das getan, was andere tun, und trotzdem hat er dabei ständig die Orientierung verloren. Er hat ein abgebrochenes Studium und noch nie eine Frau im Bett gehabt. Er hat keinen grünen Daumen, seinen Briefkasten abmontiert und auch sonst Pech im Leben. Eigentlich kann er nur Briefe austragen. Dies tut er nach der bewährten Jensen-Methode, die darin besteht, dass er mit dem Brief in der Hand den richtigen Briefkasten sucht, dabei den Namen vor sich hinmurmelt und den Brief schließlich einwirft. Oha! Normale Briefträger, die nicht am Rande der Gesellschaft stehen, machen das sicher ganz anders.

Jakob Hein wollte mit Herr Jensen steigt aus wohl einen gesellschaftskritischen, satirischen Roman schreiben, doch das ist ihm gründlich misslungen. Denn er betrachtet seinen Protagonisten so ironisch und distanziert, als wäre der nur durch Zufall in den Roman gestolpert. Hein scheint nicht genau zu wissen, was er nun mit diesem hilflosen und einsamen Zeitgenossen anfangen soll. Also lässt er ihn fernsehen, aber das führt zu keiner fesselnden Handlung. Dann lässt er ihn das Fernsehprogramm hassen und den Fernseher aus dem Fenster werfen, aber auch so bekommt der Roman keinen Sinn. Der ständige Gemütswandel von Herrn Jensen ergibt einfach keinen Zusammenhang. Viel zu schnell, unreflektiert und ohne nachvollziehbare Erklärung folgenden die wechselnden Zustände aufeinander. Und die Erkenntnis, dass das Fernsehprogramm mit der Realität nichts zu tun, zu der Herr Jensen nach mehrmonatigem Fernsehkonsum kommt, bedarf wohl keines Romans.

Die ironische Distanz, die entsteht, wenn der Protagonist mit dem Nachnamen bezeichnet wird, ist schon aus Herr Lehmann von Sven Regener bekannt. Dort allerdings trug der Name zur Handlung bei, bekam dadurch einen Sinn, und, ganz nebenbei, hatte auch die Handlung einen solchen. Bei Jakob Hein scheint die Bezeichnung „Herr Jensen“ nur ein Kunstgriff, besser: ein Taschenspielertrick zu sein, um seinen Protagonisten noch lachhafter erscheinen zu lassen. Natürlich kann man der Arbeitslosigkeit, diversen Umschulungsmaßnahmen und langwierigen Ämterbesuchen durchaus absurde Seiten zuschreiben, und es kann natürlich auch passieren, dass Arbeitslosigkeit in geistiger Umnachtung endet, so wie es bei Herrn Jensen der Fall ist. Ob man dies aber in einer Sprache darstellen muss, die fast nur aus Hauptsätzen und Hilfsverben besteht, ist fraglich. Und ebenso zweifelhaft ist, ob der Protagonist derart überzeichnet, hilflos und lebensunfähig beschrieben werden muss, dass er einfach unglaubwürdig wird. Mit solchen künstlerischen Mitteln führt Hein nämlich jegliche Gesellschaftskritik ad absurdum.

Jakob Hein      Jakob Hein
Herr Jensen steigt aus
Roman
München: Piper Verlag 2006

Jakob Hein, 1971 in Leipzig als Sohn von Christoph Hein geboren, lebt in Berlin und arbeitet als Arzt an der Charité. Er liest regelmäßig in der Reformbühne Heim und Welt und im Berliner Kaffee Burger. Im Piper Verlag sind bereits die Romane Mein erstes T-Shirt, Formen menschlichen Zusammenlebens und Vielleicht ist es sogar schön erschienen.

© 12.03.2006  Katharina Bendixen            Print

Katharina Bendixen
Prosa
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