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Räume für ein Katzenleben
Von Wewelsfleth über Schöppingen nach Berlin
Reportage von Katharina Bendixen | 3. Teil |
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Katharina Bendixen reiste für die aktuelle Ausgabe des Magazins poet zu drei Stipendienorten, ins Döblin-Haus (1. Teil), ins Künstlerdorf Schöppingen (2. Teil) und ins LCB (3. Teil). Die Illustrationen besorgte Miriam Zedelius.
Literaturorte sind nicht nur die Orte, an denen Literatur vorgelesen wird, sondern auch jene, an denen sie entsteht. Wohl nirgendwo geschieht das in geballterer Form als in Stipendiatenhäusern und Künstlerdörfern, von denen es im deutschsprachigen Raum mehrere Dutzend gibt. Autoren kommen dort für einige Monate unter und schreiben, frei von finanziellem Druck, an ihren Texten. Katharina Bendixen ist quer durch Deutschland gefahren und hat drei dieser Orte besucht. Sie ist mit den Stipendiaten spazieren gegangen, hat einen Hund kennengelernt und einiges über Kotzflecken, spukende Schriftsteller und das Leben von Katzen erfahren.
Teil 3
Während ins Alfred-Döblin-Haus von Zeit zu Zeit die Außenwelt einbricht und im Künstlerdorf Schöppingen die Innenwelt eine größere Bedeutung bekommt, gehen für die Stipendiaten des dritten Orts Innen- und Außenwelt eine inspirierende Symbiose ein. So inspirierend, dass Anna-Elisabeth Mayer, gegenwärtig Stipendiatin im Literarischen Colloquium Berlin, sich nicht wundern würde, wenn es im Haus spukt. »Ein paar Gläser sollte man immer in seinem Zimmer haben«, sagt sie. »Denn wenn mal ein Geist vorbeischaut, muss man ihm etwas anbieten können.« An ihrer Tür bräuchte der Geist von Kleist, der seinem Leben am Kleinen Wannsee ein Ende setzte, nicht einmal anzuklopfen: Er wäre sehr gern gesehen. Auch gegen die Geister von Unica Zürn, Julio Cortázar oder Robert Walser hätte die Wiener Autorin nichts einzuwenden. »Ich bin geistfreudig«, sagt sie. Tatsächlich ist es gar keine so absurde Vorstellung, dass in der Villa am Berliner Stadtrand Geister ihr Unwesen treiben. Der Backsteinbau mit seinen verspielten Türmen wirkt fast verwunschen. Von der Terrasse, auf der Anna-Elisabeth Mayer den Spuk heraufbeschwört, fällt das Gelände fünfundzwanzig Meter tief zum Ufer des Großen Wannsee ab. Der Blick ist malerisch, Berliner Lärm und Menschenmassen scheinen meilenweit entfernt. »Wenn man dann nach Berlin fährt«, erzählt sie, »ist das sehr eigenartig. Alles prasselt auf einen ein, das überfordert die Wahrnehmung und schärft sie zugleich.«
Anna-Elisabeth Mayers bevorzugte Besucher waren im Literarischen Colloquium vielleicht noch nicht zu Gast – alle anderen aber schon. Seit Mitte der achtziger Jahre reisen Autoren aus dem deutschsprachigen Raum an, um in einem der elf Gästezimmer für drei Monate ungestört zu arbeiten – fünf bis sechs sind es pro Jahr. Es kommen Übersetzer aus der ganzen Welt, außerdem regelmäßig Autoren aus Korea und Taiwan. Anders als das Alfred-Döblin-Haus in Wewelsfleth und das Künstlerdorf Schöppingen ist das Literarische Colloquium jedoch weit mehr als ein Ort für Stipendiaten, und das Haus gibt es schon länger als seine Stipendienprogramme. Mitte der sechziger Jahre gegründet, hat es sich zu dem Literaturort im deutschsprachigen Raum schlechthin entwickelt. Hier wird unter anderem der Alfred-Döblin- Preis verliehen. In der alljährlich stattfindenden Autorenwerkstatt Prosa, an der im vergangenen Jahr auch Eva Ruth Wemme teilnahm, arbeiten Nachwuchsautoren unter professioneller Anleitung an ihren Texten. Viermal im Jahr erscheint die Zeitschriftt Sprache im technischen Zeitalter. Das Literarische Colloquium rief den Deutschen Übersetzerfonds und die Literaturseite literaturport.de ins Leben. Gemeinsam mit der Robert-Bosch-Stiftung fördert es Recherchen von Autoren in Osteuropa. Und fast jeden Abend sind Autoren zu Gast, sie kommen aus Berlin, Finnland oder den USA.
An diesen Lesungen können die Stipendiaten teilnehmen, und natürlich sitzen sie während ihres Stipendiums auch selbst einmal auf der Bühne. Sie können sich in das Berliner Kulturleben stürzen. Mit Berliner Freunden um die Häuser ziehen und dann morgens in einer leeren S-Bahn zurück zum Wannsee fahren – eine halbe Stunde dauert das von Berlin-Mitte aus. Oder sie bleiben einfach im Haus und schreiben. So hält es Anna-Elisabeth Mayer bisher. »Ich habe mir viel vorgenommen«, erzählt sie und schaut über den See, »unter anderem auch, richtig touristisch mit dem Boot über den Wannsee zu fahren. Aber nach einem Monat habe ich es noch nicht einmal an Kleists Grab geschafft.« Im vergangenen Jahr ist ihr erster Roman Fliegengewicht erschienen, im Literarischen Colloquium schreibt sie an ihrem zweiten Buch, einer Familiengeschichte mit dem Arbeitstitel Wir sind nicht alleine. Ein Jahr lag das Manuskript auf der Seite, nun überarbeitet sie es grundlegend. Für diesen »nicht sehr fröhlichen Roman«, wie sie sagt, ist die Atmosphäre am Wannsee schon fast etwas zu viel des Guten: »Die Vögel singen, die Holzbalken knarren, alles ist grün, von den drei Rundbogenfenstern in meinem Zimmer kann ich direkt in den Himmel schauen. Und wenn ich abends am See die Sonne untergehen sehe, müsste ich eigentlich Malerin sein.«
Die Gründerzeitvilla und ihre Umgebung fließen nicht in Anna-Elisabeth Mayers neuen Roman ein, dafür ist das Manuskript schon zu weit gediehen. Genau wie Eva Ruth Wemme in Wewelsfleth und Wolfram Lotz in Schöppingen schätzt auch Anna-Elisabeth Mayer vor allem Zeit und Ruhe – und lässt sich von der Aura eines Hauses, dessen Schwelle schon fast jeder Schriftsteller von Rang überschritten hat, nicht weiter stören. »Theoretisch blockiert mich auch jedes Buch, das ich aufschlage«, sagt sie. »So darf man nicht denken. Ich habe Ehrfurcht, aber ich messe mich mit niemandem.« Wie Wemme und Lotz geht auch Anna-Elisabeth Mayer am Rand von Berlin unbeeindruckt ihrem Alltag nach, der sich nicht wesentlich von den Tagen in Wien unterscheidet: spät aufstehen, schreiben, lesen, essen, schreiben: »Ich bin eine Nachtarbeiterin.« Wie sehr ein Ort Literaturort ist, scheint für das Schreiben unwesentlich zu sein. Ausschlaggebend sind alleine Ruhe und das Vorhandensein eines Schreibtischs. Und natürlich die eigene Verfassung und die richtigen Ideen. Schreibblockaden sollte man an diesen Orten jedenfalls nicht haben – dann können sich die schönsten Häuser in Vorhöfe der Hölle verwandeln.
Für Anna-Elisabeth Mayer ist der einzige Wermutstropfen, dass sie ihren Hund nicht mitnehmen durfte: Seit den umfangreichen Renovierungsarbeiten der letzten Monate sind im Literarischen Colloquium Berlin Haustiere nicht mehr erlaubt. Ansonsten aber empfindet die Autorin ihren Aufenthalt wie einen einzigen Trip: »Wenn ich oben in meinem Bett liege, fühle ich mich wie auf einem fliegenden Teppich.« Und auf den kehrt Anna-Elisabeth Mayer, nachdem sie auf der Terrasse eine Stunde lang von Berlin, ihrem aktuellen Roman und den Geistern gesprochen hat, wieder zurück. Zwei Monate wird sie darauf noch durch die Welt der Literatur fliegen – genug Zeit, dass die Geister es sich überlegen und ihr einen Besuch abstatten können.
Die gesamte Reportage sowie weitere Reportagen über Literaturorte in poet 11.
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Katharina Bendixen
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