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Thomas Glavinic
Die Arbeit der Nacht
Roman
Hanser 2006
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Den Alptraum jedes Philanthropen, den Wunschtraum jedes Misanthropen verarbeitet Thomas Glavinic in seinem Roman
Die Arbeit der Nacht: Jonas erwacht eines Morgens im sommerlichen Wien und stellt fest, dass alle Menschen verschwunden sind. Zunächst ist er nur irritiert, dass die Zeitung nicht vor der Tür liegt, dass Fernseher, Radio und Internet nicht funktionieren und dass seine Freundin Marie nicht an ihr Handy geht. Nach und nach schwinden die Zweifel und der Alptraum wird Gewissheit: Wien ist menschenleer. Schnell verdichtet sich die Befürchtung, dass zumindest auch Europa nicht mehr besiedelt ist.
Jonas' Erkenntnis, dass er allein ist, sein erster menschenloser Tag könnte einen ganzen Roman füllen. Glavinic benötigt für diese Beschreibung gerade einmal sieben Seiten. Der gesamte Roman spielt sich in einem rasanten Tempo ab: Auf vierhundert Seiten werden anderthalb einsame Monate beschrieben. Jonas fährt in Österreich und Süddeutschland umher, hinterlässt überall Nachrichten mit seiner Handynummer, besucht die Wohnungen seiner Freunde und seines Vaters und die Wohnung, in der er aufgewachsen ist. Er verfällt einem Dokumentationswahn: Zunächst filmt er Straßen von Wien, schließlich beginnt er, sich selbst in der Nacht beim Schlafen zu filmen. Während er sich diese Filme ansieht, zerbricht er in zwei Teile: Jonas selbst und den Schläfer, der Dinge tut, die Jonas nicht beeinflussen kann. Langsam verliert er dadurch die Kontrolle über sich selbst und seine Handlungen.
Die innere Spannung des Romans wird aufrechterhalten durch die Frage, wie der Autor aus diesem Szenario wieder herauskommen möchte. Dass es ein realistisches Ende geben muss, steht zunächst außer Zweifel, der realistische Anspruch des Romans verliert sich jedoch im Laufe der Handlung mit Jonas' fortschreitendem Zerbrechen in den Schläfer und sich selbst. Er macht einem metaphorischen, im besten Sinne kafkaesken Raum Platz, in dem Glavinic mit den Urängsten des Menschen literarisch experimentiert. Glavinics Sprache ist genau wie sein Protagonist sachlich, nüchtern, beinahe emotionslos. Selten finden innere Monologe, Reflexionen oder Gefühlsausbrüche statt, Selbstmitleid ist Jonas fern. Es wird wenig hinterfragt, es wird vor allem gehandelt, gefahren, gefilmt und geschlafen. An diesen Schreibstil, an diesen ungewöhnlichen Protagonisten muss man sich gewöhnen, aber das tut man gerne.
Es ist unverständlich, dass
Die Arbeit der Nacht nicht einmal auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis vertreten war. Denn es ist ein besonderes Buch, ein erstaunlich reifer Roman für einen verhältnismäßig jungen Autor, ein philosophischer Thriller, eine spannende psychologische Studie über einen einzigen Menschen, die mühelos beinahe vierhundert Seiten ohne Längen oder langweilige Passagen füllt, ein Buch mit einem gänzlich ungewöhnlichem Sujet und in einer stilistisch außergewöhnlichen Verarbeitung.