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Bernlef
Bis es wieder hell ist
Roman
Aus dem Niederländischen von Maria Csollány
Zürich: Nagel & Kimche 2007
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Ein Mann steht am Fenster und sieht auf eine Schneelandschaft, eine Frau kocht Kaffee. „Übrigens verstehe ich nicht, wo die Kinder heute bleiben“, denkt der Mann, der jeden Morgen die Schüler auf ihrem Weg zum Schulbus beobachtet. Bald aber versteht er es: Es ist nicht Vormittag, sondern Nachmittag, noch dazu ein Sonntag, an dem die Kinder überhaupt nicht zur Schule gehen. „Du wirst ein bisschen zerstreut“, sagt die Frau zu dem Mann. Der Mann hat eine gute Erklärung für seine Zerstreutheit: Der Schnee ist schuld, „diese Monotonie, wenn alles ringsum weiß ist und die Unterschiede wegfallen“.
Maarten Klein ist 71 Jahre alt, als er an Alzheimer erkrankt. Es beginnt damit, dass er sonntags auf die Kinder wartet, dass ihm sein Buch auf dem Kaminsims unbekannt vorkommt, dass er sich mitten in der Nacht anzieht und an den Küchentisch setzt. Und es geht weiter: Er fragt eine Freundin nach ihrem längst verstorbenen Mann, einen Bekannten nach seinem längst verstorbenen Hund, er hält seine Frau Vera abwechselnd für seine Großmutter oder für seine Mutter, er möchte zur Arbeit gehen oder sich mit seiner ersten großen Liebe treffen.
Der Roman
Bis es wieder hell ist des niederländischen Autors Bernlef erschien bereits 1984 und wurde damals zum Bestseller, er wurde in sechzehn Sprachen übersetzt, dramatisiert und verfilmt. Passend zum Boom der Demenz in der Kunst, den die
ZEIT vor wenigen Wochen ausrief, liegt nun eine Neuauflage der – an einigen Stellen etwas misslungenen Übersetzung – vor. Bernlef verwendet in seinem Roman eine mutige Perspektive: Er lässt den dementen Maarten selbst von seiner Welt erzählen. Umso eindringlicher ist die Mischung aus Scham über das Vergessen, Angst vor Peinlichkeiten und Wut über die eigene gedankliche Trägheit, die Maarten befällt.
Der direkte Blick in Maartens Gedanken ist manchmal verblüffend, häufiger jedoch erschreckend. Am Anfang hat Maarten noch „das Bewusstsein, bei vollem Bewusstsein abwesend zu sein, verlorenzugehen, sich zu verirren“. Später fühlt er sich, „als wäre eine Art Seekrankheit in meinem Denken ausgebrochen“. Gegen Ende stellt er fest: „Der Tag ist voller Risse und Löcher.“ Schließlich hat er selbst die Sprache verloren: „keine Namen … keine Gesichter mehr … nur Atmen“, heißt es da. Das Erzählverfahren hat sicher einige Nachteile – die Figuren, selbst Vera, bleiben blass, die Dialoge sind oft hölzern, und in Maartens Bericht stehlen sich auch am Ende des Buches, das ja gleichzeitig das Ende der Krankheit markiert, zum Teil außerordentlich ausgereifte Formulierungen. Dennoch gelingt Bernlef in
Bis es wieder hell das einfühlsame und gleichzeitig grausame, das tieftraurige und gleichzeitig absurde Bild eines Menschen, der erst seine Erinnerungen, dann seine geliebte Ehefrau und schließlich sich selbst verliert.