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Ketil Bjørnstad
Vindings Spiel
Roman
Übersetzer: Lothar Schneider
Frankfurt/Main: Insel 2006
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Sind Musiker die besseren Schriftsteller? Wahrscheinlich nicht, aber wenn sie Romane über die Musik schreiben, dann kann das eigentlich nur gut gehen. Ketil Bjørnstad, Pianist und Komponist, ist jedenfalls mit seinem Roman
Vindings Spiel ein Buch über die Musik gelungen, das vor allem aufgrund seiner musikalischen Sachkenntnis und der genauen Personenbeschreibungen fasziniert und bei dessen Lektüre der Wunsch entsteht, sofort ein Konzert zu besuchen oder zumindest eine CD mit klassischer Musik aufzulegen. Bjørnstad zeichnet in
Vindings Spiel ein Bild der Gruppe „Junge Pianisten“, deren Mitglieder in den ausgehenden 60er und beginnenden 70er Jahre – die Zeit, in der Bjørnstad selbst groß geworden ist – in einem Randbezirk von Oslo leben und nur eines wollen: erfolgreich debütieren. Sensibel, manchmal fast zu anrührend beschreibt er das harte Pianistenleben der jungen Talente zwischen unzähligen Stunden des Übens, Erfolgen und Misserfolgen und der verspäteten ersten Liebe.
Bjørnstads Held ist der fünfzehnjährige Aksel Vinding, dessen Leben völlig zerstört wird, als seine Mutter in einer Mischung aus Unfall, Selbstmord und Mord ums Leben kommt. Aksels Familienverhältnisse waren schon vor dem Tod der Mutter schwierig und beinahe zerbrochen, nun gehen er, sein Vater und seine Schwester komplett getrennte Wege und reden kaum mehr miteinander. Aksels Mutter hatte ihm seit seiner Kindheit die Musik nahe gebracht, und nun entschließt sich Aksel, die Schule abzubrechen und sein Leben ganz dem Klavierspielen zu widmen. Bei Wettbewerben und kleineren Konzerten lernt er nach und nach andere junge Pianisten kennen, die genau wie er ihre Jugend am Klavier verbringen und mit ihren normalen Mitschülern nichts zu tun haben wollen und können. Unter diesen Gleichgesinnten fühlt Aksel sich wohl, seine Heldin und Angebetete ist jedoch die ebenfalls klavierspielende Nachbarstochter Anja, die völlig zurückgezogen lebt, mit niemandem der Gruppe „Junge Pianisten“ Kontakt pflegt und deren Familie ein dunkles Geheimnis umgibt. Ebenso geheimnisvoll ist Selma Lygne, eine einstige Pianistinnendiva und Anjas Klavierlehrerin, die schließlich auch Aksel als Schüler annimmt und ihn mit nahezu sexuellen Methoden zu einem besseren Pianisten machen möchte.
Vindings Spiel ist ein Roman über Obsessionen: die Obsession für klassische Musik, die Obsession der jungen Pianisten, bald ein gefeierter Nachwuchsstar zu werden, und Aksels Obsession für Anja, die sowohl ihm als auch dem Leser unerklärlich bleibt und deshalb die geheimnisvolle Ausstrahlung Anjas nur noch verstärkt. Bjørnstad beschreibt die Solidarität der Gruppe und die gleichzeitigen Machtkämpfe der Jugendlichen untereinander ebenso wie Aksels kaputte Familienverhältnisse. Der Tod der Mutter gerät im Verlauf des Romans jedoch eher in den Hintergrund und taucht nur an wenigen Stellen in Aksels Erinnerung wieder auf: Dies ist etwas unglaubwürdig und wirkt so, als käme dem Autor der Auslöser der Handlung nur wieder in Erinnerung, wenn er nicht mehr weiß, was Aksel denken und fühlen sollte. Die fehlende Mutterfigur bleibt dadurch ein wenig blass, während Aksel und seine Klavierkollegen dagegen so genau gezeichnete Figuren sind, dass bei der Beschreibung ihrer Konzerte die Aufregung und innere Anspannung auf dem Klavierstuhl fühlbar wird und den Leser selbst ergreift.