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Véronique Olmi
Ihre Leidenschaft
Roman
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz
Kunstmann 2007
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Von der Abhängigkeit einer Frau kann in dieser Intensität wahrscheinlich nur eine Frau schreiben: „Ich bin so klein, ich würde in deine Handfläche passen … ich bin winzig, ich brauche nur ganz wenig“, sagt Hélène von sich, doch was sie fordert, ist tatsächlich viel, fast unmöglich: Ihr Geliebter Patrick soll sich für sie von seiner Frau trennen. Um Patrick zu halten, erzählt sie ihm eines Abends aus dem Hotelzimmer am Telefon, dass ein anderer ihr ein Angebot gemacht habe. Er lacht, und dieses Lachen „bedeutete das Irreparable“, eine Verletzung, die nicht wieder gutzumachen ist.
In Perspektivwechseln vom Ich über das Du zum Sie erzählt Veronique Olmi in
Ihre Leidenschaft die Leidensgeschichte einer Frau, zum Teil in einem atemlosen Staccato, zum Teil in reflektierter Distanz, aber doch immer extrem nahe am Geschehen. Es ist nur eine Momentaufnahme, die Olmi in raschen Szenen und erzählerisch effizienten Schnitten entwirft, den Abend mit dem Telefonat, eine schlaflose Nacht, ein ereignisreicher Morgen. Es ist der Wendepunkt in Hélènes Leben: Nach Patricks Lachen bewegungsunfähig, verbringt sie die Nacht in ihrem Hotelzimmer, am Morgen jedoch wandelt sich ihre Abhängigkeit in Wut, ihre starken Liebesgefühle in Hass, in ein Bedürfnis nach Rache. Sie verlässt das Hotel, stiehlt ein Auto, fährt nach Paris, zu Patrick.
Olmi stellt der scheinbar im Leben stehenden Hélène nicht nur einen Mann zur Seite, der über ihre Existenz bestimmt, als wäre diese nur ein Anhängsel seiner selbst, sondern schreibt Hélène in kurzen Rückblenden auch eine Vergangenheit zu, die ihre freiwillige Abhängigkeit von Patrick erklären soll: Weil Hélènes Eltern arm waren, wuchs Hélène bei einer Cousine auf, die dafür Geld an die Eltern überwies – sie war ein verliehenes Kind, ein Pfand, der den Eltern Zinsen einbrachte. So einfühlsam und nachvollziehbar Olmis Beschreibung der erst erstarrten, dann kurz entschlossenen Hélène der Gegenwart ist, so unnötig und wenig überzeugend sind diese Passagen aus der Vergangenheit, denn sie entwerfen das Klischee eines unglücklichen Mädchens, das wenig Liebe und Sicherheit erfahren hat und nun krampfhaft auf der Suche nach Liebe und Sicherheit ist, ohne diese für sich einfordern zu können.
„Sie gehörte allen und keinem“, heißt es von Hélène. Ganz sicher gehört sie nicht sich selbst, sondern sie erlebt sich in Abhängigkeit zur Gesellschaft, zu Patrick, zu ihren starken Emotionen, über die sie schon längst die Kontrolle verloren hat. „Ich will mein Unglück selbst wählen, mein Unglück heißt lieben“, sagt Hélène. Ihr Unglück aber ist vor allem, dass sich im Kofferraum des gestohlenen Autos ein Gewehr befindet, zu dem sie im Affekt greift. Ob sie dann noch liebt, ist nebensächlich, denn am Ende gellen Sirenen durch das morgendliche Paris.