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Vladimir Tasić
Abschiedsgeschenk
Roman in drei Sätzen
Aus dem Serbischen
von Patrik Alac
SchirmerGraf 2007
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Selbst die besten Novellen werden heutzutage als Roman bezeichnet. Warum eigentlich? Die kurze Form ist doch viel leichter konsumierbar: Man könnte sie also auf dem Cover als solche offenlegen. Der novellistische Charakter von
Abschiedsgeschenk, dem ersten Roman des in Jugoslawien geborenen und später nach Kanada emigrierten Autors Vladimir Tasić, ist jedenfalls unverkennbar. Auslöser der Handlung ist eine Blechdose mit Asche, die der Postbote eines Morgens bringt. Der namenlose Ich-Erzähler, wie Tasić ein ebenfalls nach Kanada ausgewanderter Jugoslawe, liest im beigefügten Brief: „Sehr geehrter Nächster Verwandter des Verstorbenen ...“ Er hält die sterblichen Überreste seines Bruders in der Hand.
Diese Begebenheit löst im Ich-Erzähler eine Flut von Erinnerungen aus, die die Beschreibung eines einzigen Tages in einen nur wenig strukturierten Gedankenstrom verwandelt. Die äußeren Ereignisse sind schnell wiedergegeben: der Empfang des Pakets, die Fahrt zur Arbeit, der Abend mit der Frau. Im Inneren des Ich-Erzählers spielt sich jedoch ein ganzes Leben ab: das Leben des Bruder, der vor zwölf Jahren nach einem alkoholisierten Abend für immer verschwand und wenig später den Ich-Erzähler dazu veranlasste, den verzweifelten Eltern und damit seiner Heimat den Rücken zu kehren. Und auch wenn die Todesursache des Bruders – Kardiomyopathie, ein wachsendes, bald zu großes, schließlich versagendes Herz – ein wenig vordergründig wirkt, gelingt Tasić das Porträt eines ungleichen Geschwisterpaars vortrefflich.
Während der Bruder die Friedrich Nietzsches
Ausgewählte Schriften liest, versteckt der Ich-Erzähler darin lediglich Zigaretten. Er verliert im Tischtennis sechsundfünfzig aufeinander folgende Sätze an den Bruder, wodurch das Wort
vernichtend eine „ganz neue, qualitative Dimension“ erreicht. Der Bruder überspringt eine Klasse und studiert jedes erdenkliche Studienfach, während der Ich-Erzähler selbst ein schnöder, vernünftiger Mediziner wird. Der Bruder ist das klassische Genie, das dem Wahn immer näher rückt; der Ich-Erzähler dagegen der klassische wohlwollende Bewunderer. Nicht einmal Groll gegen den Bruder hegt der Ich-Erzähler, weil er durch ihn in die Rolle des Vernünftigen gedrängt wird. Und auch wenn die Protagonisten der Erzählung klassisch gezeichnet sind, ist
Abschiedsgeschenk dennoch ein ruhiges, beeindruckendes Buch.
Das liegt an den philosophischen Überlegungen des Bruders, die in die Erinnerungen einfließen, an der eigenwilligen Erzählweise des Ich-Erzählers und an dem Bild eines bereits zerbrechenden Jugoslawiens, vor dessen Hintergrund der Ich-Erzähler die Kindheit und Jugend des Geschwisterpaars schildert. Die fehlende Struktur des Gedankenstroms wird ausgeglichen durch den Aufbau des Romans. In drei Sätzen mit verschiedenen Tempi – Allegro, Largo cantabile, Allegro non molto – führt Tasić seinen Protagonisten durch den Wirrwarr an zum Teil schmerzhaften Erinnerungen. Tasić selbst lässt seinen Ich-Erzähler den Aufbau seines Buches erklären: „Nein, dies ist keine Fuge, selbst wenn der ständige Wechsel zwischen Hauptthema und den Episoden dies glauben machen könnte. ... Nein, das ist keine Fuge. Ein Concerto, vielleicht.“ Ein kurzes Concerto, ließe sich dem hinzufügen, mit vorwiegend klassischen, dennoch wirkungsvollen Harmonien.