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Ian McEwan
Am Strand
Roman
Aus dem Englischen von Bernhard Robben
Zürich: Diogenes 2007
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Ian McEwan kann es mit seinen amerikanischen Kollegen in vielerlei Hinsicht aufnehmen. In der Regelmäßigkeit seiner Produktion ähnelt er John Irving; in der thematischen Vielfalt seiner Romane übertrifft er Jeffrey Eugenides; in der scharfsinnigen Analyse von gesellschaftlichen Umständen und ihrem Einfluss auf Individuen kann er sich mit Richard Yates messen. So große literarische Qualitätsschwankungen wie bei McEwan finden sich jedoch nur bei wenigen Autoren: Während in
Der Zementgarten und
Abbitte aus ungewöhnlichen Liebesgeschichten Literatur entsteht, ist nun nach
Saturday ein weiterer Roman des britischen Autors missglückt.
Dabei sind Plot und Charaktere von
Am Strand durchaus überzeugend: Edward und Florence, ein frischvermähltes Ehepaar im England der 60er Jahre, stehen in einer Hotelsuite mit Strandblick kurz vor ihrer ersten Liebesnacht. Edward, pragmatischer Historiker, fiebert dem Ereignis seit Monaten entgegen; Florence, feinsinnige Violinistin, dagegen vergeht vor Angst und Ekel. Die Radiostimmen aus dem Erdgeschoss; die zwei Stufen vor der Suite, die es den Kellnern erschweren, das Abendessen zu servieren; der eingeklemmte Reißverschluss des Hochzeitskleides – alles deutet darauf hin, dass die Nacht misslingen wird. In Rückblenden erzählt McEwan die Geschichte einer verklemmten Beziehung und wirft immer wieder einen Blick in das Hotelzimmer, in dem Florence an die Zimmerdecke schaut, „um nicht an die unmittelbare Zukunft zu denken“ und Edward sich in einer Zimmerecke seiner Kleidung entledigt, „um das Bett frei von solchen Banalitäten zu halten“. McEwan entfaltet die tragische Unbeholfenheit zweier Liebender.
Und doch ist
Am Strand ein in großen Teilen anstrengendes, zuweilen sogar nervtötendes Buch: Es leidet an der Erklärungssucht des Erzählers. Als wären Beschreibungen und Dialoge nicht genug, um seine Protagonisten mit Leben zu füllen, benennt McEwan jede Gefühlsregung sofort: Florence liegt in einem „Widerstreit zwischen Ekel und uneingestandenem Verlangen“, Edward empfindet einhundert Seiten später ein „Gefühlschaos aus Erregung, Unwissenheit und Unentschlossenheit“. Selbst vor Dialogen machen McEwans Eigeninterpretationen nicht halt: Als Edward vorschlägt, lieber nach unten zum Radio zu gehen und den Nachrichten zuzuhören, als sich zu küssen, hat Florence sofort das Gefühl, er würde ihr damit Desinteresse an seiner Person unterstellen, und sagt: „Wir könnten uns auch aufs Bett legen.“ McEwans Erklärung dieses Satzes folgt sofort: „Weil sie ihm zeigen wollte, wie sehr er sich irrte, schlug sie das vor, was er sich am meisten wünschte und wovor sie sich am meisten fürchtete.“
Ebenso wie Florence keinen Kontrollverlust zulassen kann, möchte offensichtlich auch McEwan die Kontrolle über Lesart seines Romans nicht verlieren. Er erklärt nicht nur seine Charaktere, sondern kommentiert auch ständig die 60er Jahre: Dass es „für jeden Mann damals noch schrecklich blamabel war“ in der Öffentlichkeit einen Kinderwagen zu schieben, bedarf eigentlich keiner Worte. Ebenso überflüssig ist folgende Erkenntnis: „Der gesellschaftliche Wandel aber schritt stetig voran.“ McEwans Erzählstil wirkt, als misstraue er seinen eigenen Fähigkeiten, die Atmosphäre der damaligen Zeit zu erschaffen und die psychologische Motivation seiner Figuren plausibel zu machen. Schon im ersten Kapitel von
Am Strand verrät McEwan die Moral des Romans: „Edward und Florence waren Gefangene ihrer Zeit.“ McEwan selbst ist Gefangener seiner Erzählstrategie, und in dieser Gefangenschaft leistet der Leser ihm unfreiwillig Gesellschaft.