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Valeria Parrella

Der erfundene Freund

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Valeria Parrella | Der erfundene Freund
Valeria Parrella
Der erfundene Freund
Vier Erzählungen
Wagenbach 2006
Die beste Adresse für italienische Literatur heißt im deutschsprachigen Raum immer noch Wagenbach. Der erfundene Freund der italienischen Autorin Valeria Parrella stellt dies ein weiteres Mal unter Beweis. Vier kurze Erzählungen versammelt der schmale Band, und das Erstaunlichste an ihnen sind die verschiedenen Stimmen, mit denen Parrella ihre Protagonisten zu Wort kommen lässt. Von Austauschbarkeit kann hier – im Gegensatz zu manch deutschen Erzählband – keine Rede sein. Vielmehr stellt sich durch die verschiedenen Milieus, in denen die Erzählungen spielen, ein facettenreiches, stellenweise absurdes Bild der Bewohner Neapels ein, der Stadt, in der die vier Erzählungen spielen.

Die titelgebende Geschichte Der erfundene Freund erzählt von der Galeristin Marina, deren Tochter Agnese ständig mit ihrem imaginären Freund Daniele spricht. Agnese besteht sogar darauf, beim Mittagessen Daniele einen Stuhl freizuhalten und ihm etwas zu servieren. Marina dagegen braucht sich keine Freunde zu imaginieren, sie ist verheiratet und hat gleichzeitig eine Affäre, von der sie jedoch regelmäßig enttäuscht wird. Die wechselnden Gemütszustände der Mutter erklärt Agnese Daniele, ohne davon etwas zu verstehen, und erhellt sie so gleichzeitig für den Leser.

Dem sozialen Abgrund nähert sich Parrella in der ersten und eindrücklichsten Erzählung des Bandes Rasender Stillstand, in der eine junge Frau nach der Ermordung ihres Freundes, einem Drogenkurier, dessen Geschäfte übernimmt und schließlich ins Gefängnis kommt. Verzweifelt versucht sie, die Verbindung zu ihrem achtjährigen Sohn Toni aufrechtzuerhalten. Ein rasender Stillstand bemächtigt sich ihrer: „Es war das verzweifelte Rennen einer Seele, die man in einen Drei-mal-vier-Meter-Raum eingesperrt hatte, als würde jemand in meinem Kopf rennen, statt meiner; während ich stillstand und nichts tat, quälte sich jemand für mich ab, ohne jemals anzukommen. [...] Die Psychologin meinte, das sei normal, Ängste und Depressionen seien die gängigsten Reaktionen, um der Gegenwart zu entfliehen.“

Unsentimental und spröde beschreibt Parrella ihre Protagonisten, die selbst unsentimental denken und leben. Tiefgehende Reflexionen sind hier ebenso wenig zu finden wie auf der Stelle tretende Handlungen oder langwierige Szenen in Cafés mit Zigaretten und Latte Macchiato – auch dies ein Unterschied zu einigen deutschen Veröffentlichungen. Stattdessen setzt Parrella auf Entwicklungen, fasst eine mehrmonatige Zeit auch schon mal in zwei bis drei Sätzen zusammen und zeichnet Charaktere, die sich mit der Gesellschaft nicht anfreunden können und ungewollt, fast für sie selbst unerwartet anecken. An diesen Ecken bleiben sie jedoch nicht hängen, sondern finden schließlich einen Ort, an dem sie existieren können, ohne zu resignieren. In diesen Enden offenbart sich ganz nebenbei ein Stück italienischer Lebensart, das den Erzählungen den Anschein gibt, besonders für deutsche Winterabende geschrieben worden zu sein.
Valeria Parrella wurde 1974 in Neapel geboren, wo sie auch lebt. Sie studierte Sprachwissenschaften und arbeitete als Buchhändlerin. 2004 erschien der Erzählband Die Signora, die ich werden wollte, für den sie den Premio Campiello für das beste Debüt erhielt. Ihr neues Buch Der erfundene Freund kam auf die Shortlist des Premio Strega.

Katharina Bendixen     12.12.2006    

Katharina Bendixen
Prosa
Reportage
Gespräch