14. OPEN MIKE
D a n i e l a S e e l, L e k t o r i n
Sechs Lektoren, achtzehn Autoren – jedes Jahr bildet der persönliche Geschmack der Lektoren die Grundlage des Open Mike: jeder Lektor wählt jeweils drei Endrundenteilnehmer aus, moderiert seine Schützlinge an und leistet im besten Falle auch ein wenig Beistand in den zwei aufregenden Tagen. Immer gibt es einen eigenen Lektor für die drei Lyrikfinalisten. Dieses Jahr traf Daniela Seel vom kookbooks Verlag die Auswahl aus den Lyrikeinsendungen. Welche Maßstäbe sie an die Texte gelegt hat und was sie sich vom Open Mike in den nächsten Jahren wünscht, erzählt sie hier. |
Katharina Bendixen: Du hattest ungefähr hundert Lyrikbeiträge zu lesen und musstest drei Lyriker heraussuchen, die dieses Jahr am Open Mike teilnehmen. War die Auswahl für dich eher schwierig, weil es zu viele gute Texte waren oder weil es zu viele schlechte Texte waren?
Daniela Seel: Mit den eher schwächeren Texten hat man ja nicht so viel Arbeit. Die kann man sofort beiseite legen. Die dann in der Spitze übrig bleiben, sagen wir: die letzten zehn, für die braucht man schon mehrere Durchgänge, gerade um dann wirklich auf die letzten drei zu kommen. Da liest man einige Beiträge schon fünf- bis sechsmal.
K. Bendixen: Nach welchen Kriterien hast du die Texte ausgewählt?
D. Seel: Die Gedichte müssen mich selbst überzeugen. Und dann habe ich auch darauf geachtet, dass unterschiedliche Ansätze in die Endrunde kommen. Dass ich die drei so zusammenstelle, dass man eine Bandbreite von poetischen Möglichkeiten sieht. Dass die Zuhörer hier verschiedene Weisen kennen lernen, wie heute Gedichte geschrieben werden.
K. Bendixen: Konntest du in den Einsendungen bestimmte Tendenzen ausmachen?
D. Seel: Nein. Es war ganz breit gefächert.
K. Bendixen: Fast die Hälfte der diesjährigen Teilnehmer kommt aus Schreibschulen. Was sagst du dazu?
D. Seel: Das war eigentlich zu erwarten. Dadurch, dass es jetzt diese Schulen gibt, werden viele junge Menschen, die sich für das Schreiben interessieren, von diesen Instituten in besonderem Maße angezogen. Und dadurch wird einiges gebündelt, was gar nicht gebündelt werden konnte, bevor es die Institute gab. Wir Lektoren wissen ja von den Autoren, die wir auswählen, überhaupt nichts, man trifft die Auswahl vollkommen anonym, da spielt es keine Rolle, ob die Texte in Schreibschulen geschrieben wurden oder nicht. Ich selbst fand es zum Beispiel sehr interessant, dass von den drei Autoren, die ich ausgewählt habe, zwei nicht nur nichts mit Instituten oder dem ganzen Literaturbetrieb zu tun haben, sondern sogar beide Juristen sind. Das war für mich schon überraschend.
K. Bendixen: Wie schätzt du die Rolle des Open Mike für junge Autoren ein?
D. Seel: Es ist im deutschsprachigen Raum immer noch eine der besten Bühnen, um sich einem breiteren Publikum, auch einem Fachpublikum vorzustellen. Das kann man schon daran ablesen, wie viele Lektoren hier sind, wie viele große Zeitungen und Radiosender. Und weil der Open Mike im Gegensatz etwa zum Bachmann-
Wettbewerb sich explizit an Autoren richtet, die noch keine Veröffentlichung vorzuweisen haben, ist das für viele ein wahnsinnig großer Schritt. Darüber habe ich auch mit meinen drei Kandidaten im Vorfeld gesprochen. Es waren zwei dabei, die fast noch überhaupt keine Erfahrungen mit Lesungen gemacht haben, und das ist dann schon ein wahnsinniger Sprung, durch die Teilnahme auf eine so große Bühne zu kommen. Und da kann man, wenn man sich entsprechend präsentiert, schon Weichen stellen. Andererseits sollte man das auch nicht überbewerten.
K. Bendixen: Seit wann verfolgst du den Open Mike schon, oder, anders gefragt: kannst du zur Entwicklung der Texte in den letzten Jahren etwas sagen?
D. Seel: Ich verfolge den Open Mike seit 1997, 1998, aber ich habe mir nicht jedes Jahr die Lesungen angehört. Was ich dazu sagen kann: ich fand es in den letzten Jahren, vor allem was den Prosa-Bereich angeht, eher langweilig, bieder, gerade formal. Es wird nicht viel gewagt, was die Form, die Arbeit am sprachlichen Material betrifft. Oft fehlt mir überhaupt ein Bewusstsein dafür, dass Sprache Material ist, nichts Selbstverständliches, was man einfach fraglos verwenden kann. In den letzten Jahren sind es verstärkt durcherzählte Storys, die man hier hört, was sicher auch den Instituten geschuldet ist, wo Handwerk in erster Linie auf dieser Ebene vermittelt wird. Mir fehlen da grundlegendere Fragen danach, was Erzählen überhaupt sein könnte. Ich würde mir wünschen, dass es wieder Autoren gibt, die solche und noch ganz andere Fragen stellen und von da aus dann auch etwas anderes versuchen.