|
|
|
|
Juli 2015
Bekanntlich ist Michael Krüger, nach 29 glanzvollen Dienstjahren, seit dem laufenden Jahrgang nicht mehr für die Akzente zuständig, und man wird sich erst daran gewöhnen müssen, dass die Akzente nun eine ganz normale Zeitschrift sind, die ein mehr oder weniger brisantes Thema nach dem anderen abhandeln, in einem neuen Format und abstraktem Layout, ohne Porträtfotos auf dem Titel, die häufig Poeten im Gespräch zeigten. Und drinnen haben nur noch Texte, die zum jeweiligen Thema passen und von ausgesuchten Autoren stammen, eine Chance, abgedruckt zu werden, aber keine spontan eintreffenden Gedichte oder Essays von Außenseitern, nichts Unerwartetes mehr.
Das jüngste, von Jan Brandt und Jo Lendle herausgegebene Heft handelt vom Krieg. Nicht eigentlich von historischen Kriegen, sondern von solchen, die uns seit einigen Jahren zumindest über die Medien bedrängen: der Krieg in der Ukraine, in Syrien, in Afghanistan. Die eingeladenen Autoren sind meist junge Leute, die überwiegend aus diesen Ländern stammen, doch mittlerweile bei uns leben. Sie berichten von Grausamkeiten, von denen hier geborgen aufgewachsene Schreibschul-Absolventen keine Vorstellung haben. Ohne diese Emigranten wäre die Konzeption des Heftes nicht aufgegangen.
Nino Haratischwili, 1983 in Tiflis geboren und in Hamburg lebend, berichtet über Versuche der Georgier, sich nach 1989 vom übermächtigen Russland zu lösen – ein Weg, der blutig begann und blutig weiterging. Sie erzählt von Exilanten, die nach einer Vorführung des georgisch-deutschen Films „Die langen hellen Nächte“ in Hamburg durch Zufall zusammen fanden, über ihre persönlichen Erfahrungen sprachen und darüber, „wie man vom Krieg spricht“, der „das Leben der Menschen für immer gezeichnet und ihre Biografien verzerrt“ hat, doch den anderen hier fremd und abstrakt bleibt, ein „fremder Krieg“ mit „fremden Bildern“. So heißt es: „Wir lebten Seite an Seite, und doch hatten wir einander nichts zu sagen.“
Aber wie, fragt die junge Autorin aus Georgien, durchbricht man diese Grenze zwischen einem abstrakten, fremden Krieg und dem eigenen? Vielleicht dadurch, dass man den Krieg „durch persönliche Geschichten erfahrbar und erlebbar“ macht, durch Erzählungen, Lieder, Filme, Gespräche …
Im längsten Beitrag des Heftes berichtet Khalid Ahmad Atif von seinem ersten Einsatz, an dem er als Übersetzer der amerikanischen Truppen in Afghanistan teilnahm. Ein entsetzliches Massaker wird aufgedeckt, das mutmaßliche Taliban an einer Hochzeitsgesellschaft verübten. Den Jungen und Männern wurden Penisse, Zungen, Finger, Ohren abgeschnitten, die Frauen und Mädchen „filetiert wie Fische, ihre Wirbelsäulen entfernt.“
Im einzigen historisch orientierten Text erzählt Lukas Bärfuss von der „Liebe zum Krieg“ am Beispiel von Tadayoshi Sakurais Bericht aus dem Russisch-Japanischen Krieg, der Belagerung von Port Arthur 1904: „Die bis dahin nur beschworene Einheit der Körper wurde uns offenbar, die Männer versammelten sich in der Garnison um den Leib des Tenno – eine Vermählung mit dem göttlichen Regenten würde nun vollzogen werden. Ein jeder, selbst der Niederste, erhielt seinen Platz und seine Funktion in diesem Organismus.“
Auch die Leitung der Zeitschrift die horen hat sich irgendwann für monothematische Hefte entschieden. Man sammelt Texte von etwa 40 Autoren aus den unterschiedlichsten Gebieten ein, wobei eigentlich, zumal bei einem so populären Thema wie „Kino“, nichts schief gehen kann. Fast jeder hat ein prägendes Erlebnis oder wenigstens eine Episode beizutragen. So kommen einfallsreiche Wortmeldungen, auch solche voller Überraschungen und Schrecken zusammen. Übrigens haben erstaunlich viele Mitarbeiter eine DDR-(Kino)-Vergangenheit.
Den Schriftsteller Patrick Roth erfüllt es noch immer mit Groll, dass der bedeutende Regisseur Andrei Tarkowski für jene Szene vom stürzenden, lanzen-durchbohrten Pferd eines vom Schlachthof herbeischaffen ließ, es eigenhändig in den Hals schoss und vor laufender Kamera über den Rand der Kulisse in den Abgrund stürzte. Er hätte hingegen, meint Roth, „alles daransetzen müssen, dem vom Tod Geretteten solche Grausamkeit zu ersparen, einfach mit technischen Mitteln.“ Doch Tarkowski zog es vor, für „seine“ Kunst, die „einem höheren Zweck“ diente, so realistisch wie möglich zu töten.
Ferner findet sich in den horen ein Briefwechsel zwischen Antje Vollmer und Hans-Eckardt Wenzel über das Bild der alten Bundesrepublik in den Filmen von Rainer Werner Fassbinder. Gepriesen wird die Kargheit seiner Erzählweise, die Entdeckung des Mythologischen im Alltäglichen. Eine Spur von Gewalt sei stets in Fassbinders Körper präsent gewesen, sobald er die Szene betrat. Doch mehr als die Brutalität schockt die unbeteiligte Haltung der Figuren etwa in dem Film „Katzelmacher“, entstanden 1969 in strengen Formen an nur neun Drehtagen.
Julia König hat einen Aufsatz über das Filmplakat beigesteuert. Dessen goldene Zeit währte von den 20er bis in die 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts (wovon die schönen Beispiele im Heft zeugen). Die Kinobetreiber und später die Filmverleiher beauftragten lokale Maler mit den Entwürfen, während heute Einheitsplakate verwendet werden. An den Fassaden der Premierenkinos waren großformatige, gemalte Plakate angebracht, die die Hauptdarsteller in Pose zeigten, den Handlungsort und das Filmgenre andeuteten. Georg Klein erinnert daran, „dass man im Kino problemlos beisammen und zugleich unbelästigt vereinzelt sein kann.“ Curt Strauss beschreibt die Technik der „Überblendung“ bei Veit Harlan, der „ein außerordentlich begabter Filmregisseur“ gewesen sei. Er „erzählte keine Geschichten, sondern malte Bilder.“ Thomas Koebner schließlich widmet sich dem beliebten Motiv „Blick aus dem Fenster“ im Gemälde, in der Literatur und im Film.
Schwerpunkt der jüngsten Ausgabe der Neuen Rundschau bilden vierzehn Briefe von Milena Jesenská, die sie aus den Gefängnissen von Dresden und Prag sowie aus dem KZ Ravensbrück zwischen 1940 und 1944 an ihren Vater und ihre zwölfjährige Tochter Honza geschrieben hat – ein Zufallsfund in einem Archiv der Prager Staatssicherheit. Zugleich ein erschütterndes Zeugnis, das der mutigen Journalistin, die bisher fast nur als (Brief-)Freundin Franz Kafkas wahrgenommen wurde , eine eigene Stimme verleiht.
Diese empathische Frau, die konsequent dem Auftrag ihres Herzens folgte, wurde 1896 als Tochter eines Prager Zahnmediziners geboren. Schon früh verkehrte sie mit den deutschsprachigen Literaten im Café Arco in Prag, später in Wien im Café Central, und war allem Avantgardistischen zugewandt. Zu Beginn der 30er Jahre durchlief sie, so ihre Biografin Alena Wagnerová, „ihre kommunistische Phase“. Auch danach betätigte sie sich als Fluchthelferin, schrieb für radikale Blätter, warb für den Widerstand gegen Deutschland. Ihre Mitarbeit in illegalen Zeitungen führte im November 1935 zu ihrer Verhaftung.
Aus diesen vierzehn erhaltenen Briefen erfährt man einiges über die Zustände im Prager Gefängnis: „Zwei Drittel der Menschen hier“, schreibt Milena Jesenská, „wurden von Tschechen angezeigt.“ Und aus dem Dresdner Untersuchungsgefängnis berichtet sie: „Mein Gott, wie werde ich den Hass los? Und doch bin ich in diesem Deutschland wunderbaren und freundlichen Menschen begegnet, mein Ermittlungsrichter war ein wunderbarer Mensch und die Aufseherin werde ich mein ganzes Leben wie eine Schwester lieben.“ Sie bittet ständig um Briefe, Pakete, Seife, sorgt sich um ihre schwierige Tochter Honza, die dem Großvater nicht gehorcht
In ihrem letzten Brief vom September 1943 klagt Milena Jesenská wie schon öfter über „schweres Reuma in Händen und Füßen“, dazu eine Blasenentzündung, verbunden mit Nierenschmerzen. Sie braucht Wärme, Freiheit, vor allem Medikamente, die sie im Lager nicht auftreiben kann. Im Mai 1944 stirbt sie. Ein authentischer Bericht über ihre letzten Stunden, der sich unter den gefunydenen Briefen befand, stammt von Margarete Buber-Neumann, die ebenfalls in Ravensbrück inhaftiert war. Sie schreibt an Milenas Vater: „Darf ich zu Ihnen über Milena sprechen, über Milena, der ich vier Jahre, die schönsten und zugleich traurigsten meines Lebens verdanke. So sehr gelebt, so stark gefühlt, aber auch so schwer gelitten wie sie hat keiner. Milena wusste um die Tragödie unserer Generation, denn sie konnte denken. Sie wollte diese Gedanken niederlegen, vor dem Kommenden warnen, ahnte jedoch schon seit Jahren, dass sie die Freiheit nie wiedersehen wird, dass sie nie mehr dazu kommen wird.“
Im Juliheft der 1947 gegründeten Zeitschrift Merkur schildert Michael Rutschky leicht ironisch „sein Jahr beim Merkur“; als Basis dienten ihm Tagebuch-Aufzeichnungen. Im Januar 1979 trat er sein Amt als Redakteur für schöne Literatur und zweiter Mann hinter dem ebenfalls neuen Herausgeber Hans Schwab-Felisch an, der Nachfolger des bisherigen „Alleinherrschers“ Hans Paeschke geworden war. Schwab-Felisch schien indes nur eine Art Stellvertreter zu sein „für den wahren Kapitän, der erst nach fünf Jahren Interregnum einträfe, Karl Heinz Bohrer.“ Ihm war es, so Rutschky (diesmal ganz frei von Ironie) vorbehalten, „den Modernitätsanspruch des Merkur emphatisch zu erneuern.“ Als eine Art Wartezeit könnte man deshalb die Ära Schwab definieren, was für Schwab nicht eben günstig war.
Schwab-Felisch war, so wird berichtet, „der Sohn eines bedeutenden Vaters“. Alexander Schwab, ein linker Sozialwissenschaftler, ging 1933 in den Widerstand, kam vor den Volksgerichtshof, ins KZ, wurde gefoltert und starb an den Folgen. Sein Schatten lastete, so könnte es gewesen sein, auf dem Sohn. Dabei war Hans Schwab-Felisch, eingebettet in die literarische Tradition der Bundesrepublik, ein Mann mit vielen Verdiensten, erfolgreich nicht nur als Rezensent. Er nahm an den Tagungen der Gruppe 47 teil und kannte alle Welt; er hatte auch das Literaturblatt der FAZ redigiert. Wenn er sich an ihn erinnere, schreibt Rutschky, der damals gerade an seinem Buch „Erfahrungshunger“ arbeitete, „erscheint als sein Dauerausdruck ein gut kontrollierter Missmut. Er hinderte ihn nicht daran, freundlich und umgänglich zu sein.“ Die fünf Jahre währende Herrschaft über den Merkur habe er wohl als sein „heroisches Alterswerk“ betrachtet.
Azente: Heft 2, 2015
(Postfach 86 04 20, 81631 München), 9,60 €.
die horen: Nr. 258, 2015
(Jürgen Krätzer, Böttgerweg 4a, 04425 Taucha), 14,- €.
Neue Rundschau: Heft 2, 2015
(Hedderichstarße 114, 60596 Frankfurt), 15,- €.
Merkur: Heft 7, Juli 2015
(Mommsenstr. 27, 10629 Berlin), 12,- €.
Michael Buselmeier 15.07.2015
|
|
|
Michael Buselmeier
Lyrik
Prosa
Reden und Texte
Gedichtkommentar
|
|