|
|
|
|
November 2014
Die jüngste Ausgabe des Literaturmagazins poet enthält neben neuen Gedichten und Prosastücken zwölf kommentierte Gegenwartspoeme. Im Mittelpunkt des Bändchens stehen Gespräche über Vergänglichkeit und Tod, ein vielschichtiges Thema, das Schriftsteller seit jeher beschäftigt hat. Kann man heute, so lautet die Frage präziser, noch etwas schaffen, das den Anspruch erhebt, die eigene Lebenszeit zu überdauern und sich einfügt in den Strom der Überlieferung, oder ist ein solches Bemühen vorweg schon vergeblich, ja lächerlich?
Dem 1953 geborenen Autor Georg Klein ist bereits die Idee des Sammelns und Archivierens identisch mit dem „Anhäufen von altem Kram“ und folglich „antipathisch“. Im Gespräch mit Gisela Trahms gefällt er sich in der Rolle des virtuellen Bilderstürmers, wenn er die „übervollen Speicher der Museen“ leichten Herzens der Vernichtung durch „Luftminen“ preisgeben möchte und angesichts historischer Bauten kühl konstatiert: „Doch, doch, Wegreißen hat schon was.“ Auch für Literaturarchive zeigt er wenig Sympathie. Wenn ein Text alles, was zu ihm geführt habe, hinter sich lasse, sei dies „ein Akt der Befreiung, ja der Erlösung.“ Warum sollte man Notizen, ältere Fassungen, die Brille des Verfassers, sein „Kokaintütchen“ aufbewahren?
Leicht zynisch erhebt sich Georg Klein auch über die angeblich so „trostlose Ära der historisch- kritischen Ausgaben“, die ja eine Art „Textmuseum“ vorstellen und mit akribischem Aufwand gegen das Vergessen betrieben werden. Man müsse die Vergänglichkeit eines Textes und das Verschwinden eines Dichters schon zu Lebzeiten akzeptieren: „Seit es bürgerliche Literatur gibt, ist es die Regel, dass die meisten Autoren das Vergehen ihrer Autorschaft miterleben.“ Ihre Bücher sind immer schwieriger, schließlich gar nicht mehr erhältlich. Der Literaturbetrieb verliert jedes Interesse an ihnen; auch der Schreibprozess selbst wird immer mühseliger. Gleichwohl gibt es „dieses angstvolle Verlangen nach ewigem Anhalten und maßloser Dauer.“ Dem hält Klein schroff entgegen: „Ich bin dafür, dass gestorben wird!“ Ein Dichter müsse Aufmerksamkeit und Zuwendung für sein Werk zu Lebzeiten erfahren. Traurig, wer auf die Nachwelt hoffen müsse.
Während Georg Klein also für ein „rechtzeitiges“ Sterben plädiert, findet der fast 30 Jahre jüngere Clemens J. Setz sterben zu müssen „peinlich“. Dabei wird Setz ein besonderer Hang zum Morbiden nachgesagt. Er sammelt Meldungen von merkwürdigen Todesarten, beschäftigt sich besonders mit bizarren Formen des Selbstmords und verwendet in seinen Büchern grausame Szenen und plakative Bilder, kann sie aber nach eigenem Bekunden „nur mit Mühe betrachten.“ Er denke, sagt Setz im poet, „dass es gut ist, wenn man in entlegene Winkel schaut, wenn man Mysterien festhält und einrahmt, wenn man Unbegreifliches sammelt.“
Der Tod – das hat Bazon Brock in den 60er Jahren sogar plakatiert – ist ein zum Himmel schreiender Skandal, „eine verdammte Schweinerei“ und muss „abgeschafft“ werden. Man spüre, so Setz, „den rauen Gegenwind des uralten Ausgegrenztwerdens vom Rudel oder der Herde.“ Das todesnahe Tier werde von den anderen weggebissen. Er sei ein „naiver Autor“, behauptet Setz, der „das Besondere nur im Besonderen“ finden könne (was immer das heißt).
Für die 1964 in Offenbach geborene, seit langem in Paris lebende Anne Weber ist der Tod „der tiefste Antrieb zum Schreiben.“ Im Schreiben unternehmen wir vielfältige Anstrengungen, „um zu den Toten hinzugelangen.“ Auch Verletzungen, Scham, Demütigungen, Verluste und Wut spielen hier mit: „Alles, was im normalen Leben nachteilig ist oder zerstörerisch, wird dadurch, dass man etwas erschafft damit, in Schönheit verwandelt.“
Fragen nach der Zukunft der Literatur, ihren Formen und Inhalten, ihrem Stellenwert in der Gesellschaft und dem Einfluss der neuen Medien auf den Schreibprozess und die Inszenierung von Autoren wurden kürzlich bei einer Klausurtagung der Kunststiftung Nordrhein-Westfalen auf Burg Gehrden diskutiert. Die höchst lebendige und vielseitige Zeitschrift Volltext publiziert in ihrer jüngsten Ausgabe Statements von elf Tagungsteilnehmern, sämtlich renommierte Schriftsteller.
Der radikalste, zugleich relevanteste Text scheint mir der von Marion Poschmann zu sein, die vor allem als Lyrikerin Anerkennung findet. Sie laviert nicht herum zwischen den sogenannten Anforderungen der digitalen Welt und dem Geheimnis der Autorschaft, sondern bezieht eindeutig Stellung in einer Weise, die die Feuilletons zumindest aufmerksam machen sollte.
Für Marion Poschmann ist die Literatur das einzige Medium, „das dem Subjekt eine kritische Selbstreflexion ermöglicht.“ Ich-Perspektive und Innenschau der Figuren sind für sie „Kernkompetenzen“ der Literatur. Stoffe sind dagegen modisch, dem Zeitgeist unterworfen, meint Poschmann, und das werde auch in Zukunft so bleiben, insofern halte sie „die Frage nach den Inhalten der Zukunft für irrelevant.“
Literatur ist „eine Form von Intimität, die zwischen dem Autor und dem Buch sowie zwischen dem Leser und dem Buch stattfinden sollte, nicht aber zwischen Autor und Leser“, so Poschmann, und sie fährt mit Stolz fort: „Ich bin kein Lohnschreiber, sondern Künstlerin, und ich lehne es ab, meine Bücher in erster Linie als Produkt und die Leser meiner Bücher entsprechend als Kunden zu betrachten, deren Rückmeldungen ich relevant finden muss, damit ein Geschäft zustande kommt.“ Sie will nicht Teilchen der technischen Welt sein, an Blogs und Mitmach-Projekte im Internet angeschlossen. Und so endet sie: „Vielleicht würde es helfen, die Unterscheidung zwischen U und E wieder einzuführen.“
Das ist nun wahrlich eine kleine Provokation, denn seit rund 50 Jahren bemühen sich fast alle am Literaturbetrieb Beteiligten (Journalisten, Autoren, Professoren) mit enormem Eifer, die angeblich undemokratische Unterscheidung zwischen Hoher und Trivialkultur verschwinden zu machen. Wer dabei nicht mitspielt, gilt schnell als „Reaktionär“.
In der Novemberausgabe des Merkur unternimmt der Literaturwissenschaftler Ingo Meyer einen Gang durch die gegenwärtige deutschsprachige Romanproduktion, einen Rundblick, von Theorie beflügelt, zugleich elegant und scharfsinnig anhand von Beispielen formulierend. Konstatiert wird der Niedergang einer Gattung. Verfallstendenzen innerhalb dieser „Königsdisziplin der Epik“, die einst „Totalität“, ja „eine ganze Welt“ bedeutet hatte, werden angesprochen. Dabei sind die Unkenrufe aus den 80er Jahren, es werde nicht mehr erzählt, längst verstummt. Die Romanschreiber haben zur Konvention zurückgefunden.
Meyers Rundschlag beginnt mit der „Erschlaffung der Altvorderen“. Gemeint sind Günter Grass und Martin Walser, während der ähnlich alte Paul Nizon als „letzter Aufrechter“ erscheint, der mit seiner „diskontinuierlichen Subjektivität“ die klassische Moderne fortschreibt. Von Grass heißt es dagegen, er habe seit langem „jede sprachliche Sensibilität verloren.“ Seit den „Hundejahren“ sei ihm kein ästhetisch relevanter Text mehr gelungen.
Von der (euphemistisch gesprochen) „mittleren Generation“ erhalten Peter Handke, Jochen Schimmang, Bodo Kirchhoff und die als „letzte große Ironikerin“ apostrophieret Brigitte Kronauer ein karges Lob. Hart geht Ingo Meyer mit der 1974 geborenen Juli Zeh und ihren „Ideenromanen“ ins Gericht, in denen „nichts eigentlich literarisch entfaltet“ werde. Das Dilemma ihrer umfangreichen Bücher liege neben der aufdringlichen political correctness darin, „dass a priori alles entschieden“ sei und nur „Meinungen“ geäußert würden.
Auch Uwe Tellkamps viel gerühmter Wende-Roman „Der Turm“ und Clemens Meyers im subproletarischen Milieu von Leipzig nach der Wende spielendes Debüt „Als wir träumten“ kommen schlecht weg. Im ersten Fall ist, sich steigernd, von „opulenter Sprache“, „Schwiemelei“ und „rhetorischer Stickluft“ die Rede, im anderen wird eine stupide, „schier endlose Abfolge sinnfreier Gewaltexzesse“ moniert.
Ingo Meyer vermutet, „dass die Ödnis in den Neunzigern begann“, als die amerikanischen Erfolgsromane auf breiter Front bei uns Einzug hielten. Immer gezielter würden Leseinteressen bedient, und vielleicht sei es genau das, „was emphatische Literatur nicht tun sollte“ (obwohl andererseits der Leser doch auch ein Anrecht auf Unterhaltung hat – oder etwa nicht?). Meyer schließt seine Ausführungen so: „Debattenfähige Bücher“ haben nun mal, auch und gerade bei der Literaturkritik, „viel größere Erfolgs-Chancen als ein minutiös kalkuliertes Sprachkunstwerk, das wissen heute auch die Debütanten.“
Die jüngste Ausgabe von Lettre International macht den Versuch, die satt und stumpf gewordenen Theatergeister wieder aufzuwecken mit gleich elf fundamentalen Beiträgen zur Situation des internationalen Theaters, etwa von Alain Badiou und Georges Banu. Marleen Stoessel berichtet über Peter Brooks aufregende „Theaterreisen ins menschliche Gehirn.“
Ich will besonders auf das bedeutsame Gespräch hinweisen, das der Publizist Frank M. Raddatz mit dem Theater- und Filmregisseur Hans-Jürgen Syberberg geführt hat, und zwar in Nossendorf, einem kleinen Ort in Vorpommern. Dorthin, in sein Geburtshaus, ist der 1935 geborene Syberberg nach 1989 wieder zurückgekehrt, für ihn „ein idealer Raum“, in dem er ein öffentlich zugängliches Archiv einrichten will, worin er alles, was von ihm und über ihn und sein Werk geschrieben wurde, versammelt, dazu Manuskripte, Kleider, Bücher, Photos, Korrespondenzen.
Seit dem Jahr 2000 unterhält Syberberg auch eine Webpage, auf der er täglich seine oft kritischen Notizen zu Vorfällen im Dorf und der Welt in Form von Photos, Textdokumenten und Anmerkungen präsentiert – Montagen, die er sowohl als Zeitung wie als Buch versteht. Das Internet ist für ihn eine Fundgrube.
Syberberg hat als Photograph im Gefolge seines Vaters angefangen. Der Umgang mit der Kamera führte ihn zum Film und dann zum Theater, an Brechts „Berliner Ensemble“. Er drehte einen Dokumentarfilm über Fritz Kortner, den großen Mann des Welttheaters, ständig bemüht, den Bildern „intellektuelle Härte“ und „Struktur“ zugrunde zu legen. Es folgten Syberbergs legendäre Filme über Ludwig II., Karl May, Adolf Hitler, Parsifal. Nicht zu vergessen die monologischen Theaterprojekte mit der Schauspielerin Edith Clever über Kleists „Penthesilea“, „Die Marquise von O.“ oder „Die Nacht“, wobei Clever sämtliche Rollen spielte, eine Kargheit, die auch aus der Not heraus entstand, da Syberberg sich keine weiteren Darsteller leisten konnte. Alle diese Arbeiten haben eine Affinität zur deutschen Geschichte wie zum Pathos, sie sprechen in jenem hohen prophetischen Ton, den Hölderlin in die deutsche Lyrik und Nietzsche in die Philosophie getragen hat.
poet: Nr. 17, Herbst 2014
(poetenladen, Blumenstraße 25, 04155 Leipzig), 9,80 Euro.
Volltext: Nr. 3, 2014
(Porzellangasse 11/69, A-1090 Wien), 2,90 €.
Merkur: Heft 11, November 2014
(Mommsenstr. 27, 10629 Berlin), 12,– €.
Lettre International: Nr. 106, Herbst 2014
(Erkelenzdamm 59/61,10999 Berlin), 13,90 €.
Michael Buselmeier 12.11.2014
|
|
|
Michael Buselmeier
Lyrik
Prosa
Reden und Texte
Gedichtkommentar
|
|