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März 2014
Das Literaturmagazin poet, das halbjährlich im Verlag des Poetenladens erscheint, bringt jedesmal Gedichte und Geschichten von bekannteren Autoren, oft auch von blutjungen Diplomdichtern aus Leipzig oder Hildesheim, die schon erstaunlich viele Preise und Stipendien eingeheimst haben. Die 16. Ausgabe eröffnen vorzügliche Natur- und Landschaftsgedichte des längst arrivierten Jan Wagner, etwa über Mücken: „als hätten sich alle buchstaben / auf einmal aus der zeitung gelöst / und stünden als schwarm in der luft.“
Auch Ruth Johanna Benrath wendet sich den Insekten zu, besonders Hummeln und Bienen in ihrem neunteiligen „Emily- Projekt“. Gemeint ist die große amerikanische Poetin Emily Dickinson, die von 1830 bis 1886 lebte. Gewidmet ist der Zyklus dem nahezu unbekannten Dichter Andreas Rasp, der sich jahrzehntelang im Geheimen mit der Übersetzung der 1789 Poeme Emily Dickinsons beschäftigt hat. Ruth Johanna Benrath besingt die immer Einsame so: „Biene gewesen / Flügel gespreizt / Gott gesiezt / Hund geduzt / durch einen Türspalt / mit den Menschen geredet.“
Die Berliner Künstlerin Bianca Döring schickt ihrem jüngst gestorbenen Freund, dem großen Erzähler Peter Kurzeck, ergreifende Verse nach: „Am Zaun nagt der Reif. / Ein Wind verwundet die Bäume. / Mit dunklen Schritten / stöbert der Abend / nach Gold.“ Schließlich sei noch auf ein langes Natur- und Heimatgedicht des vielfach preisgekrönten Kurt Drawert hingewiesen. Es berichtet ironisch-selbstreflexiv vom Elend und der Suche nach Glück in dem Odenwalddorf Crumbach: „Auf dem Land sind die Zusammenhänge / immer direkter, auch kausaler …“
Im Gesprächsteil der Zeitschrift poet geht es um das steinalte, nicht eben originelle Thema „Literatur und Rausch“, wobei sich vorweg die schwer zu beantwortende Frage stellt, was so bedeutenden Autoren wie E.T.A. Hoffmann, Joseph Roth oder Uwe Johnson der maßlose Alkoholgenuss eingebracht haben mag; ob er sie selbst und ihr Werk nicht nachhaltig beschädigt hat, zumal Rauschmittel eher träge und depressiv machen und zu Lähmungen führen, während man doch zum Schreiben ein klares Bewusstsein braucht.
Die von der poet-Redaktion befragten jüngeren deutschen Autoren halten sich, so behaupten sie wenigstens, vom Alkohol und anderen Drogen fern und verweisen auf das Rauschpotential, das im Schreiben und speziell in der Sprache liege, mit der man den Leser in einen Taumel zu versetzen hofft. „Heute schreibe ich in kurzen, intensiven Phasen, da halte ich mich mit Alkohol zurück, damit ich nicht zu erschöpft bin“, sagt der Frankfurter Erzähler Andreas Maier, der sich als „Werkzeug eines automatisierten Unbewussten“ begreift. Auch für den jungen Lyriker Jan Skudlarek ist Schreiben „mitunter allemal ein Rausch“, ein „Wortrausch“, ein „Außersichgeraten“. Und sehr geniepoetisch spricht er von „Inspiration“, ein Begriff, der nicht so recht in die gegenwärtige Schreibschulpraxis passt.
Im jüngsten Heft der Akzente finden sich neue Gedichte von Harald Hartung, Charles Simic und Jan Volker Röhnert sowie ein fundierter Essay des ehemaligen Merkur-Herausgebers Karl Heinz Bohrer über Heinrich Heines politische Prosa, genauer: über die Dialektik von Ästhetik und Politik in dessen Schriften. Anders als sein Pariser Emigrationsgefährte Ludwig Börne sei der stets elitäre und ironische Heine nie in „politische Gesinnungsprosa“ verfallen.
Im Mittelpunkt des Heftes stehen vier Prosatexte des 1963 in Gera geborenen Lutz Seiler; der umfangreichste erzählt von Seilers Rom-Stipendium in der Villa Massimo. Während frühere Gäste ihre Erlebnisse auf den Straßen und in den Museen Roms, ihre Konflikte mit der Leitung des Hauses oder ihren Groll über die südländische Schlamperei geschildert haben, spricht Seiler von nichts anderem als vom Fußballspiel, wobei er auch Miroslaw Kloses Leis#-tungen im Dienst von Lazio Rom nicht zu erwähnen versäumt.
Seiler ist ein Fußballverrückter, mit dem ich vor etlichen Jahren über die Aufstellung des Dresdner Sportclubs zur DDR-Zeit und den Spieler Hans Kreische debattierte, ein Experte nun auch des italienischen Kinderfußballs. Kaum eingetroffen mit schwedischer Frau und zwölfjährigem Sohn, werden die Drei schon in ein Spiel einbezogen. Unglaubliche bürokratische Schwierigkeiten bereitet der Versuch, den Sohn in einem „Futbolclub“ anzumelden. Das ist teuer, außerdem sind zehn Dokumente vorzulegen, darunter die Geburtsurkunde des Jungen „im Original“.
Doch das Training, das anfangs einem wilden Kinderspiel gleicht, beinhaltet schon bald „beinharte Strategien eines körperbetonten Zweikampfs“. Es gibt Taktik-Übungen, Konditionstraining und Trainer-Ansprachen. Die „Kunst der Defensive“ wird so früh schon eingepaukt, und man versteht nach der Lektüre dieses Aufsatzes etwas besser, weshalb Italien bei Welt- und Europameisterschaften so erfolgreich ist.
War Felix Hartlaub, der im Juni 2013 hundert geworden wäre, ein früh Vollendeter oder ein nicht zu Ende Geborener? Noch immer wird über die politische Haltung und die literarische Bedeutung dieses Autors gerätselt, dessen Spur sich in den letzten Kriegstagen in Berlin verliert. War er „eines der stärksten Prosatalente“ seiner Generation, war er gar „ein literarischer Spion in Uniform“, wie Durs Grünbein vermutet hat?
Nicht Hartlaubs frühreife literarische Arbeiten und seine grotesken Zeichnungen, die unter dem Einfluss seiner ehrgeizigen Eltern entstanden sind, faszinieren bis heute – es sind seine postum veröffentlichten Tagebuch-Aufzeichnungen, die sich durch ungewöhnliche Präzision und stilistische Brillanz auszeichnen, ebenso detailgenaue wie distanzierte Beobachtungen in der dritten Person, Blicke auf Landschaften, knappe Porträts, nicht selten ein wenig hochmütig.
In Sinn und Form präsentiert nun Karl Corino bislang unbekannte Dokumente. In den Beständen der Odenwaldschule wurde eine um 1932 entstandene Studie des Schülers Hartlaub über „Platon und der Staat“ entdeckt, und unter den Materialien der Berliner Universität fanden sich die Promotionsakten des Doktoranden,
Abgedruckt ist ferner ein Gespräch, das Karl Corino im Jahr 1986 mit Felix' Schwester, der Romanautorin Geno Hartlaub, geführt hat. Es wirkt eigenartig fern, wie hinter Glas, zumal inzwischen umfangreiche Werkeditionen erschienen sind (zuletzt 2002 bei Suhrkamp) und nichts wirklich Unvertrautes zutage tritt. Dass der Vater, der Kunsthistoriker Gustav Friedrich Hartlaub, die Geschwister überfordert hat, indem er sie zu Wunderkindern erziehen wollte, ist ebenso bekannt wie Genos Behauptung, dass Felix „menschlich völlig undurchsichtig“ und „ein Meister der Tarnung“ war. Als solcher eignete er sich kaum für den „kommunistischen Untergrund“, er war vielmehr prädestiniert, im Führerhauptquartier am offiziellen Kriegstagebuch mitzuwirken und daneben im Geheimen seine ganz persönlichen Wahrnehmungen zu notieren.
In der 5. Ausgabe von Gegenstrophe. Blätter für Lyrik preist Sebastian Kleinschmidt, bis 2013 Chefredakteur von Sinn und Form, mit sanftem Pathos den Hölty-Preisträger des Jahres 2012, den in Dresden geborenen Lyriker und evangelischen Theologen Christian Lehnert: „Ich bewundere an ihm, dass seine Dichtung Gesang ist, wehendes Lied, ein Lied der Höhe, der Tiefe, der Weite.“ Lehnert habe dem Gedicht den hohen Ton zurückgegeben, der ihm so lange fehlte, Reim, Rhythmus und ein festes Metrum, Musikalität und nicht zuletzt das Sakrale. Auf das Religiöse müsse man „warten können, wie man auf das Poetische warten können muss.“
Lehnert beherrscht das liturgische Sprechen; seine Gedichte sind auch Gebete. Er kann abwarten, inständig hinhören, bis das Ich durchscheinend wird und die Sprache fast von selbst zu sprechen anfängt, wie diese in Jamben gefasste, poetische „Gottesansprache“ belegt: „Du bist die Aussicht und die bist das Auge, / das über Auenland und Sümpfe streift, / ein Weg, der nicht zu gehen ist: Der Taube / hört nicht den Wind und folgt den Gräsern, greift // in Wurzelbüschel, und er fühlt sich reich. / Du bist der andere und bist derselbe. / Du bist das grüne Blatt und bist das gelbe. / Du bist, der bleibt, und der, der immer weicht.“
Ein Zwiegespräch mit dem verborgenen Gott scheint immerhin möglich. Verse wie diese suchen, so Kleinschmidt, „Anfängliches, Werdendes, Ungesagtes, den aufscheinenden Ursprung.“ Christian Lehnert sieht das ähnlich, wenn er bekennt: „Ich schreibe, um mich immer wieder davon zu überzeugen, dass es Sinn gibt.“ Es sei gleichsam „ein Hoffen, wo nichts mehr zu hoffen ist.“ Und etwas später heißt es: „Die Worte im Gedicht kommen mir entgegen wie scheue Tiere.“
Chaussee, die „Zeitschrift für Literatur und Kultur der Pfalz“, stellt ins Zentrum ihrer jüngsten Ausgabe eine überraschende Frage: „War Georg Büchner Pfälzer?“ Nun war er zweifellos Hesse, doch eine seiner Großmütter stammte aus der Pfalz und seine Mutter, Caroline Reuß, wurde 1791 im Schloss zu Pirmasens geboren. Der Großvater, Johann Georg Reuß, war Schlossverwalter am Hof des Landgrafen Ludwig IX. von Hessen-Darmstadt, der in Pirmasens residierte. 1793 floh die Familie vor den französischen Revolutionstruppen nach Darmstadt.
Soweit die Fakten; was folgt, sind Spekulationen. Im Gespräch zwischen der Leiterin des Büchner-Hauses in Goddelau, Rotraud Pollmann, und dem Autor Theo Schneider wird unterstellt, Büchners Pfälzer Großmutter habe ihn im Detail unterrichtet von den Vorgängen am Pirmasenser Hof, was dem Enkel zur Inspirationsquelle für sein literarisches Schaffen geworden sei.
Da es an exakten Belegen fehlt, muss hin und wieder das Wörtchen „möglicherweise“ eingeschoben werden. „Möglicherweise“ verdankt sich diese oder jene Tambourmajor-Szene aus dem Woyzeck einer Erinnerung der Großmutter. Landgraf Ludwig IX. „könnte“ die Vorlage für den skurrilen König Peter aus Leonce und Lena gewesen sein … Immerhin erfährt man nebenbei Interessantes über Büchners Großeltern und über Eigentümlichkeiten der kleinfeudalen Zeit: das Militär- und Hospitalwesen, Pappkameraden, die Ernährung, den Stand der Medizin.
poet: Nr. 16, Frühjahr 2014
(poetenladen, Blumenstraße 25, 04155 Leipzig), 9,80 Euro.
Akzente: Heft 1, Februar 2014
(Postfach 86 04 20, 81631 München), 7,90 Euro.
Sinn und Form: Heft 1, Februar 2014
(Postfach 21 02 50, 10502 Berlin), 9,00 Euro.
Gegenstrophe: Nr. 5, 2013
(Literaturhaus Hannover, Sophienstraße 2, 30159 Hannover), 10,- Euro.
Chaussee:: Nr. 5, 2013
(Postfach 2860, 67616 Kaiserslautern), 5,- Euro.
Michael Buselmeier 19.03.2014
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Michael Buselmeier
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