Stele [griech.] Pfeiler, Säule als Grab- oder Gedenkstein
Die Stelen sind der Anfang einer Sammlung kleiner literarischer „Gedenksteine“ in Form eines Gedichtes jüngst verstorbener Dichter, überwiegend fremdsprachiger, aber auch deutschsprachiger. Ausgangspunkt sind unter anderem aktuelle Todesmeldungen in den poetry news. Idee und Konzept: Hans Thill.
Andrea Zanzotto
(Pieve di Soligo 1921 – Conegliano 2011)
Weissagungen Erinnerungen oder Wandzeitungen
II
Fleißiges Werk des Himmels: Konditorei:
Reben süß und Sterne: und die Beere leuchtet
einem Bärenhunger.
Ungehinderte Gebirge abgefallene Lasten
Silber fast kann man es nennen
diese Zauber-Tapete
diese Zackung und septemberträge
Zärtlichkeit der Zunge und des Zahns.
Und keusch ist das Saugen, aber sauer die Biene und neidisch.
Pausenlos erkenne ich und wiedererkenne,
ein Mensch bin ich Toskaner der
redlich spricht von primitivisierten
von primären Dingen, auch wenn sie nichts einübt in Dauer.
Denn von Dauer ist nichts als die Verneinung
jene alte, reglos dort in.
(He) Weinberg unterhölt von der Reblaus
die auf ein stummes Blubbern von Rede besteht
(he) Lorbeer Oleander
Gold schelmische Lebenszeichen
Aus: La Beltà/Pracht. Gedichte Italienisch Deutsch. Herausgegeben und übersetzt von Donatella Capaldi, Maria Fehringer, Ludwig Paulmichl, Peter Waterhouse. Engeler e Folio, Basel, Wien, Bozen 2001
»Die gleichermaßen moderne und archaische Dichtung Andrea Zanzottos steigt hinab zu den Ursprüngen des Sprechbaren, wo das Individuum noch nicht getrennt ist von der undifferenzierten Totalität der Welt und noch in der Geschichte lebt wie in einem Mutterleib.«
Claudio Magris
Andrea Zanzotto, geboren am 10. Oktober 1921 in Pieve di Soligo, einem Dorf nahe Treviso in der Region Veneto. Er war bis 1975 neben seiner schriftstellerischen Arbeit als Lehrer tätig. Unter anderem erhielt er 2005 als erster italienischer Dichter den Hölderlin-Preis der Stadt Tübingen. Andrea Zanzotto starb wenige Tage nach seinem 90. Geburtstag am 18. Oktober 2011 in Conegliano.
03.11.2011