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Stele [griech.] Pfeiler, Säule als Grab- oder Gedenkstein
Die Stelen sind der Anfang einer Sammlung kleiner lite­rarischer Gedenks­teine in Form eines Gedichtes jüngst ver­stor­bener Dichter, über­wiegend fremd­sprachiger, aber auch deutsch­sprachiger. Aus­gangs­punkt sind unter ande­rem aktuelle Todes­mel­dungen in den poetry news. Idee und Konzept: Hans Thill.

Liste der Stelen   ↓

 

Thomas Rosenlöcher
(Dresden 1947 – ebenda 2022)


Der Nachwuchsengel
Verankert im Büro sind meine Schwestern,
wo sie die Akten singend kehren
und bald dahin sind. Auf dem Fensterbrett
die schwache Spur von grauem Seufzerstaub.

Als Zahnradengel leben meine Brüder
ihr stark veröltes Leben im Metall,
nur hoffend, daß, wenn ise dei Messer fräßen,
von ihnen noch in kleiner Splitter Licht

abspränge von den Spänen. Lieber Gott.
Wie reih ich mich in diese Schöpfung ein.
Wozu hab ich mein Abitur gemacht,
wenn ich vergehn soll wie ein Fingerschnippen.

Aus: Michael Braun/Hans Thill. Punktzeit. Deutschsprachige Lyrik der achtziger Jahre. Wunderhorn, Heidelberg 1987, S. 23.

 

»Weil Thomas Rosenlöcher ein Vanitas-Mahner ist, deshalb ist er ein Dichter des irdischen Glücks.«
Heinrich Detering

 

Thomas Rosenlöcher wurde 1947 in Dresden geboren und studierte Betriebswirtschaft an der Technischen Universität Dresden. Später besuchte er das Literaturinstitut »Johannes R. Becher« in Leipzig. Er schrieb Gedichte, Kinderbücher und Essays. Zu den frühesten und bekanntesten Arbeiten gehört der 1982 erschienene Gedichtband Ich lag im Garten bei Kleinzschachwitz, ein Band, der den Dichter schon früh als »fantasiereichen, selbstironischen und widerständigen« Dichter auszeichnete. Nach der Wende publizierte er vor allem im Suhrkamp und im Insel Verlag. Thomas Rosenlöcher starb im April 2022 im Alter von 74 in seiner Geburtsstadt.

 

24.04.2022