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Stele [griech.] Pfeiler, Säule als Grab- oder Gedenkstein
Die Stelen sind der Anfang einer Sammlung kleiner lite­rarischer Gedenks­teine in Form eines Gedichtes jüngst ver­stor­bener Dichter, über­wiegend fremd­sprachiger, aber auch deutsch­sprachiger. Aus­gangs­punkt sind unter ande­rem aktuelle Todes­mel­dungen in den poetry news. Idee und Konzept: Hans Thill.

Liste der Stelen   ↓

 

Richard Wagner
(Lowrin 1952 – Berlin 2023)


Zündhölzer aus Gherla
Zündhölzer aus Gherla brennen still
ab. Jemand reicht jemand eine Hand.
Keiner friert. Alle können lesen. Sie
lesen und schweigen. Wir sind hier.

Weil wir schweigen, sind wir hier. Ich
bin dagegen. Das trage ich mit mir aus.
Ich lüge. Ich sage es nicht. Ich sage
es. Ich bni eine einzige Lüge. Ein

Bettlaken liegt über uns. Weiß wie der
Schlaf. Kennst du mich. Du kennst mich.
Die Fans haben recht. Der Staat ist nicht
gut. Sagen wir. Es ist Sport. Wir sind

unzufrieden. Die Fans versammeln sich
montags. Dann reden sie. Sie reden über
sich. Jeder ist sein eigener Ball. Nur
wer spielt, gewinnt. Wo ist der

Nachmittag. Wir sind dagegen. Weil wir
nichts sagen. Sagten wir etwas, wären wir
dafür. Gedichte sind dagegen. Gedichte sind
schön. Schön ist dagegen. So einfach machen

sies uns. Das Zündholz brennt ab.

Aus: Michael Braun/Hans Thill (Hrsg.), Punktzeit. Deutschsprachige Lyrik der achtziger Jahre, Heidelberg 1987, S. 149.

 

»Es gibt keine Sprachbilder oder Arabesken in diesen streng gebauten, oft lakonischen Gedichten, in denen vor allem die Form das ausdrückt, was nicht gesagt wird.«
Gregor Dotzauer

 

Richard Wagner wurde 1952 in Lovrin, Rumänien, geboren und gehörte der deutschsprachigen Minderheit der Banater Schwaben an. Während seines Studiums der Germanistik und Rumänistik publizierte er erste Lyrik und Kurzprosa und gründete 1972 die Aktionsgruppe Banat. Nach einer kurzzeitigen Verhaftung Wagners durch den rumänischen Geheimdienst Securitate wurde die Gruppe 1975 zerschlagen. Er konnte 1987 nach einem Ausreiseantrag in die Bundesrepublik Deutschland übersiedeln. Neben Erzählungen und Romanen verfasste er zahlreiche Gedichtbände, so zuletzt Gold (Aufbau Verlag 2017). Nach langer Krankheit starb Richard Wagner im März 2023 in Berlin mit siebzig Jahren.