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Stele [griech.] Pfeiler, Säule als Grab- oder Gedenkstein
Die Stelen sind der Anfang einer Sammlung kleiner lite­rarischer Gedenks­teine in Form eines Gedichtes jüngst ver­stor­bener Dichter, über­wiegend fremd­sprachiger, aber auch deutsch­sprachiger. Aus­gangs­punkt sind unter ande­rem aktuelle Todes­mel­dungen in den poetry news. Idee und Konzept: Hans Thill.

Liste der Stelen   ↓

 

Juan Calzadilla
(1930 Altagracia de Orituco / Venezuela – 2025 Caracas)



Der rein-poetische Akt

Manche Dinge wären besser zu sagen, hätte man ein Messer in der Hand.
Ein Instrument, das geeignet ist, den Worten eine Schärfe zu verleihen.
Selbst wenn man etwas hat mit mehr Gewicht als nur die Faust, um auf
den Tisch zu hauen, ist noch immer das Wort wirkungsvoller, da es
gleichsam aus des Messers Schneide schlüpft. Ich schrie scheußliche
Worte. Ich dachte, um sie zu sagen, müsste ich sie mit
einer Geste von einer gewissen Konsistenz unterstützen, wie etwa
eine Rose oder ein Eisenträger. War ich auf Rache aus? Nein, ich war
auf der Suche nach Wahrhaftigkeit. Um Emotion ging es mir.
Ich hatte die Entschlossenheit eines Dichters. Letztlich ging ich
im Prinzip methodisch vor wie es einem in der Schule beigebracht
wird. Schließlich ging ich von der Poesie über zu den Fakten.
Ich fand genug Perversion in der Realität, um nicht mit einer Pistole
bewaffnet spazieren zu gehen. Bis ich anfing, in die Menge zu schießen

Deutsch von Hans Thill. Aus: alpialdelapalabra.blogspot.com

 

»Der sanftmütigste Mann der Welt ... in der Poesie ein böser Wolf.«
Ludovico Silva

 

Juan Calzadilla wurde 1930 in Altagracia de Orituco in Venezuela geboren. Er studierte Literatur und Philosophie in Caracas und arbeitete anschließend als Dichter, Maler und Kunstkritiker. Als Autor gilt er als eine der prägenden Stimmen der venezolanischen Avantgarde, deren Poesie Bildhaftigkeit und politisches Bewusstsein verbindet. Sein erster Gedichtband erschien Mitte der 1950er-Jahre, größere Bekanntheit erlangte er mit dem Buch Dictado por la jauría (1962). Zudem war er Mitbegründer der experimentellen Künstlergruppe El Techo de la Ballena. Für sein künstlerisches Gesamtwerk wurde er später mit dem Nationalen Kunstpreis (CONAC) und dem Nationalen Literaturpreis (Premio Nacional de Literatura) ausgezeichnet. Juan Calzadilla starb im Juni 2025 in Caracas im Alter von 95 Jahren.