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Stele [griech.] Pfeiler, Säule als Grab- oder Gedenkstein
Die Stelen sind der Anfang einer Sammlung kleiner lite­rarischer Gedenks­teine in Form eines Gedichtes jüngst ver­stor­bener Dichter, über­wiegend fremd­sprachiger, aber auch deutsch­sprachiger. Aus­gangs­punkt sind unter ande­rem aktuelle Todes­mel­dungen in den poetry news. Idee und Konzept: Hans Thill.

Liste der Stelen   ↓

 

Bernadette Mayer
(1945 New York – 2022 East Nassau, New York)


Schokoladen-Lyrik-Sonett
als meine kinder noch klein waren
gab's zu hause nie süßigkeiten aber
wenn wir zu lyriklesungen gingen
nahm ich immer schokoladentafeln mit
um die lyrik genießbar zu machen oder
interessanter oder damit sie
halbwegs still waren, nur ging es nach hinten los
wenn die lesung zu lang dauerte, dann
kam das dicke ende doch ich hab's verdient
stimmt's? irgendwann als ich wusste
dass die lesung lang dauern würde, nahm ich zwei mit
und so begriff ich lange lesungen bald
als zwei-schokoladentafeln-lesungen, schließlich
nahm ich zwei mit für alle fälle, manchmal blieb eine übrig

 lyrik ist so gut wie schokolade
 schokolade so gut wie lyrik

Aus: Poetry State Forest, New Directions, 2008; aus dem US-Amerikanischen von Sonja vom Brocke

 

»Es ist, als würde ihren Alltag immerzu eine Musik begleiten.«
Anne Waldman

 

Bernadette Mayer wurde 1945 in Brooklyn, New York geboren. Sie ist Autorin zahlreicher Gedichtbände, Chapbooks und künstlerischer Publikationen, darunter Works and Days (2016), Helens of Troy, NY (2013), Poetry State Forest (2008), The Desires of Mothers to Please Others in Letters (1994) und Midwinter Day (1978). Von 1967 bis 1969 gab Mayer gemeinsam mit dem Künstler Vito Acconci das Magazin 0 TO 9 heraus, im Jahr 1977 gründete sie mit dem Dichter Lewis Warsh die United Artists Press, von 1980-1984 war sie Direktorin des St. Mark's Poetry Project. Bernadette Mayer starb am 22. November 2022 in East Nassau, New York.