Stele [griech.] Pfeiler, Säule als Grab- oder Gedenkstein
Die Stelen sind der Anfang einer Sammlung kleiner literarischer „Gedenksteine“ in Form eines Gedichtes jüngst verstorbener Dichter, überwiegend fremdsprachiger, aber auch deutschsprachiger. Ausgangspunkt sind unter anderem aktuelle Todesmeldungen in den poetry news. Idee und Konzept: Hans Thill.
Jean-Jacques Viton
(Marseille 1933 – ebenda 2021)
Wood
das holz ist in sektoren zerlegt
in territorien in spezialitäten
in ebenen
muskel ebenen
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der lée-kanal ein weg in den wald
wenn es im winter schneit schälen
die hirschen die bäume
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es ist gewiß nicht dieser rasen
der flaum der erde zu sein scheint
es ist gewiß nicht diese glasierte fläche
die ihre leuchtende fruchtbarkeit ankündigt
fasern ebenen
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sie hat sich für eine zeit verirrt
in diesen wäldern vom lager aus
scheinen sie ...
gesicht aus flößholz blasses gesicht
aufgelöst
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die erde schält sich und entrindet sich
unter den wütenden doppelschritten der krieger
tirer sur cavalier – jumper schiessen
allein von unseren seufzern hallt
der wald
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Aristoteteles wählte für sein Lykeion einen ort
wo es schöne baumalleen gab
(cavalier als papierformat
zwischen quadrat und grand raisin)
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der wald hat zwei gesichter und manchmal
verschmelzen beide
man weiss nicht mehr so recht wo man ist.
Übersetzt von Hans Thill. Aus: Emmanuel Hocquard, Raquel (Hrsg.), Orange Export
Ltd. 1969-1986. Anthologie. Flammarion Paris 1986.
»Eine der Herausforderungen von Jean-Jacques Vitons Schreiben besteht nicht darin, die Welt mit Realität auszustatten, sondern ihren Linien zu folgen, sich ihrer Existenz zu öffnen, möglich Zukünftiges mit der Welt zu schaffen und dieses den Text bilden zu lassen.«
Jean-Philippe Cazier
Jean-Jacques Viton wurde 1933 in Marseille geboren und verbrachte einige Jahre seiner Kindheit in England, ehe er in seine Heimatstadt zurückkehrte. Nach dem Krieg lebte er in Marokko. Später wurde er Leiter des Théâtre Quotidien in Marseille und gründete unter anderem die Zeitschrift Banana Split. Zu seinen Veröffentlichungen gehören zahlreiche Gedichtsammlungen, die er teils in Zusammenarbeit mit Musikern und Bildenden Künstlern herausbrachte. Ebenso trat er als Übersetzer aus dem Italienischen und Englischen hervor. Jean-Jacques Viton starb im März 2021 im Alter von 87 Jahren in Marseille.
10.04.2021