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Stele [griech.] Pfeiler, Säule als Grab- oder Gedenkstein
Die Stelen sind der Anfang einer Sammlung kleiner lite­rarischer Gedenks­teine in Form eines Gedichtes jüngst ver­stor­bener Dichter, über­wiegend fremd­sprachiger, aber auch deutsch­sprachiger. Aus­gangs­punkt sind unter ande­rem aktuelle Todes­mel­dungen in den poetry news. Idee und Konzept: Hans Thill.

Liste der Stelen   ↓

 

Harry Oberländer
(Bad Karlshafen 1950 – ebenda 2023)


böhmerwald achtzehnhundert & ein & vierzig
der wald zieht seine dämmerstreifen
westwärts allerseits wogiges land,
ströhmende bäche. die blaue wand
schneidet himmelwärts wunden ins all.
bleiche granitkugeln, fahle schädel
auf schwarzer erde, dem totenbett.
unbeschriebene blätter fallen von
hohen schweigenden bäumen. aus
schwarzer tiefe, aus der versteinerung,
schaut ein auge den dichter an. gestirne
jenseits gespiegelt im gläsernern haus

Aus: Harry Oberländer. chronos krumlov. Gedichte. Edition Faust, Frankfurt am Main, 2015.

 

»Sein Textwissen war ein Haus, in dem er lebte, in dem er sich traumwandlerisch zu bewegen wusste, wenn er mal wieder auf der Suche war nach einem Bezug, einem Thema, einem Zitat.«
Björn Jager

 

Harry Oberländer wurde 1950 in Bad Karlshafen (Hessen) geboren und studierte Soziologie in Frankfurt am Main. 1973 erhielt er den Leonce-und-Lena-Preis und lebte seither als freier Schriftsteller und Journalist in Frankfurt am Main. Von 2010 bis 2016 war er Leiter des Hessischen Literaturforums im Mousonturm, dessen Mitinitiator er gemeinsam mit Paulus Böhmer war. Er war Mitglied des Deutschen PEN-Zentrums und gehörte im Juni 2022 zu den Gründungsmitgliedern des PEN Berlin. 2015 erschien sein Gedichtband chronos krumlov (Edition Faust). Harry Oberländer starb mit 73 Jahren im Dezember 2023 in seiner Geburtsstadt Karlshafen.