Stele [griech.] Pfeiler, Säule als Grab- oder Gedenkstein
Die Stelen sind der Anfang einer Sammlung kleiner literarischer Gedenksteine in Form eines Gedichtes jüngst verstorbener Dichter, überwiegend fremdsprachiger, aber auch deutschsprachiger. Ausgangspunkt sind unter anderem aktuelle Todesmeldungen in den poetry news. Idee und Konzept: Hans Thill.
(Ljubljana 1933 – Topolšica 2023)
Črtomir/Hamlet
lauschen wie der regen einen stapel zeitungen durchweicht
bis in der schale des morgens die ewigkeit erreicht
die sonne im aufgang ihre klinge zeigt
dein gesicht erschrickt an einem metall
das dir den puls zählt, du spürst es überall
hand, zunge erfühlen die zeit, das auge, den schall
die rasierklinge ist so lebendig, das leben prall
dein bild, in ihr kannst du es sehen
und wie sie makellos die welt umrundet
der du dich näherst im drehen
die welten in der schneide mit dir verbunden
hast du nun keine wahl, du mußt töten
was zu töten ist, wenn es tötet.
Übersetzt von Urška P. Černe / Hans Thill. Aus: Hans Thill (Hrsg.) Geburt eines Engels. Gedichte aus Slowenien. Heidelberg, Wunderhorn 2008
»Im Ausdruck Modernist, im Herzen Hierophant des Hohen, des Edlen, des Erschütternden, Zerfleischenden. Taufer lehrt uns auch die größten Tragödien erhobenen Hauptes zu bestehen.«
Urška P. Černe
Veno Taufer wurde 1933 in Ljubljana geboren und studierte an der dortigen Universität Literaturwissenschaft. Ende der 1950er Jahre gehörte er zu den Initiatoren eines Kreises junger slowenischer Künstler, die die rigide Kulturpolitik des jugoslawischen Regimes in Frage stellten, und gab die autonome Zeitschrift Revija 57 heraus. Er wirkte als Intendant innovativer Theaterstücke und später als Redakteur im slowenischen Fernsehen. 2002 erhielt er den Jan-Smrek-Preis, den höchsten Literaturpreis für ausländische Schriftsteller in der Slowakei. Seine ersten Gedichte erschienen in Studentenzeitschriften. Seine spätere Poesie ist in den Kanon der modernen slowenischen Literatur eingegangen. Veno Taufer starb im Mai 2023 Neunzigjährig in Topolšica.