Stele [griech.] Pfeiler, Säule als Grab- oder Gedenkstein
Die Stelen sind der Anfang einer Sammlung kleiner literarischer Gedenksteine in Form eines Gedichtes jüngst verstorbener Dichter, überwiegend fremdsprachiger, aber auch deutschsprachiger. Ausgangspunkt sind unter anderem aktuelle Todesmeldungen in den poetry news. Idee und Konzept: Hans Thill.
(Victoria/USA 1927 – Salt Spring Island 2021)
ALEX
ich male ein Bild von dir!
zuerst gab er mir keine Ohren und ich sagte
du solltest mir Ohren geben
ich möchte große Ohren eins an jeder Seite
und er ergänzte sie zusammen mit drei Mantelknöpfen vorne
jetzt mache ich deinen Rock weit sagte er und er tat es
und er spickte meine Rippen mit Stecknadeln rauf und runter und ich saß da
und er sagte jetzt tue ich ein Messer in dich rein
es war in meiner Seite und ich fragte tut es weh
und Nein! sagte er und wir lachten und er sagte
jetzt mache ich ein Feuer an dir und er machte männliches
Feuer an mir am richtigen Ort kritzelte mich dann
überall in Flammen schreiend FEUER FEUER FEUER
FEUER FEUER FEUER und ich sagte
sollen wir die Feuerwehr rufen und er sagte Ja!
hier sind sie und hier biegen sich die Leitern
und wir machten Sirenenlärm als er den Wagen malte
über die Seite dann sagte er Der Schlauch! und er
löschte das Feuer und ich sagte so ist's besser
und er kringelte sich und lachte wie verrückt
weil alles auf Papier war
Übersetzt von Sonja vom Brocke und Nobert Lange.
»Ich besuche sie, weil sie die alte Krone der Poesie ist und ich auf der Suche bin. Ich besuche sie – in der Regel drei-, viermal im Jahr –, weil es ein kleiner Dienst ist, den ich für sie und ihre Poesie leisten kann, während sie langsam ins Endliche reicht – eine lange, langsame Umarmung des Nichts.«
Stephen Collis
Phyllis Webb wurde 1927 in Victoria, British Columbia, geboren und studierte englische Literatur und Philosophie an der University of British Columbia. Ihre erste Publikation Trio (zusammen mit Eli Mandel und Gael Turnbull) erschien 1954. Seit den 60er Jahren arbeitete Webb als Autorin und Sprecherin für die CBC. Später unterrichtete sie Kreatives Schreiben an der University of British Columbia und der University of Victoria. Webb forschte über den Anarchisten Peter Kropotkin, seit den 70er Jahren lebte sie zurückgezogen auf Salt Spring Island in British Columbia und arbeitete vor allem als abstrakte Künstlerin, Collagistin und Fotografin. Dort ist sie am 11. November 2021 mit 94 Jahren gestorben.
27.12.2021