Stele [griech.] Pfeiler, Säule als Grab- oder Gedenkstein
Die Stelen sind der Anfang einer Sammlung kleiner literarischer Gedenksteine in Form eines Gedichtes jüngst verstorbener Dichter, überwiegend fremdsprachiger, aber auch deutschsprachiger. Ausgangspunkt sind unter anderem aktuelle Todesmeldungen in den poetry news. Idee und Konzept: Hans Thill.
(Köln 1932 – ebenda 2024)
leer stehen Tisch und Stuhl
bevor die Korrespondenzen beginnen
hereintänzelnd übers Parkett
könnte es, aufgewacht aus dem Schlaf,
einer der vielen Berge sein
die Handfläche im Katalog
hatte eine Gruppe von Wörtern versammelt
jetzt schweben sie
über der rheinischen Flußlandschaft
ein Schwarm der Erinnerung
der für die Zukunft gebraucht wird
im Hotel Apollinaire
draußen die Züge rauschen entlang
am Ufer der Gleichzeitigkeit
zunächst aber treffen Zitate ein
rücken sich einen Stuhl einen Tisch
dann beginnen die Korrespondenzen
mit einem Glückwunsch
für Gregor Laschen
Aus: Thill/Wieczorek/Wilhelm: Im Fremdwort zuhaus. Eine Anthologie für Gregor Laschen zum 60. Geburtstag.
Wunderhorn, Heidelberg 2001 S. 20
»Es gibt keine Dekoration bei Jürgen Becker. Es gibt auch keine Vitrinen, in denen etwas ausgestellt wird. Man weiß eigentlich nie, weil er nie nach Vordergrund und Hintergrund staffelt, welches Element, das genannt wird, im Fortlauf des Textes zu Erinnerung werden kann, und womit sich dann andere Sphären und Lebensbereiche öffnen.«
Marcel Beyer
Jürgen Becker wurde 1932 in Köln geboren und verbrachte dort seine Kindheit. Während der Kriegs- und Nachkriegsjahre lebte er in Erfurt. Nach kurzem Studium begann er seine Existenz als freier Schriftsteller, während er seinen Lebensunterhalt mit wechselnden Tätigkeiten bestritt. Später leitet er die Hörspielredaktion des Deutschlandfunks. Große Aufmerksamkeit fand Jürgen Becker mit seinem Prosabuch Felder (1964), nachfolgende Bücher festigten seinen Ruf als Autor. Zuletzt, im Jahr 2024, erschien von ihm Nachspielzeit. Sätze und Gedichte. Er wurde unter anderem mit dem Peter-Huchel-Preis, dem Günter-Eich-Preis und dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet. Jürgen Becker starb im November 2024 in seiner Heimatstadt.