Stele [griech.] Pfeiler, Säule als Grab- oder Gedenkstein
Die Stelen sind der Anfang einer Sammlung kleiner literarischer „Gedenksteine“ in Form eines Gedichtes jüngst verstorbener Dichter, überwiegend fremdsprachiger, aber auch deutschsprachiger. Ausgangspunkt sind unter anderem aktuelle Todesmeldungen in den poetry news. Idee und Konzept: Hans Thill.
Jude Stéfan
(Pont Audemer 1930 – Orbec 2020)
an den vormittagen
ähnlich waren die kühe zur zeit
ronsards und gleich der nebel und
ähnlich zwischen den laken nackt entblößt
das fleisch zur lust der münder
und nämlich die blätter die fallen wie
die kleider der zeit und ähnlich auch
(ein dickes rotes rebhuhn
ein sagenhaftes rebtil geraten
hier in eure erinnerungen
wie die rote strähne eines klatschweibs
an einem abend unter ihrem federhut)
vorübergehen der feurigen gleichen menschen
regen schnee und nacht der poeten sie selber
ähnlich allen jahrhunderten Asien des vergessens
Übersetzt von Eugen Helmlé. Aus: Eugen Helmlé (Hg.) Résonnances.
Französische Lyrik seit 1960. P. Kirchheim, München 1989.
»Seiner Poesie ist ein gewisser Manierismus zueigen, mit dem er sich von der Mehrzahl seiner Generationskollegen abhebt […] Seine Gedichte, die manchmal etwas von Miniaturen haben, sind angelegt wie mit Worten gemalte Bilder.«
Eugen Helmlé
Jude Stéfan wurde 1930 als Jacques Dufour in Pont-Audemer geboren und studierte Rechtswissenschaften, Philosophie und Literatur. Er lebte in Orbec (Calvados) und unterrichtete am Gymnasium von Bernay. Zu seinen Veröffentlichungen gehörten neben zahlreichen Gedichtbänden vor allem Erzählungen und Essays. Als eines der frühesten Bücher erschien der Gedichtband Cyprès 1967 bei Gallimard. Für seine Dichtung erhielt er den Prix Max-Jacob und 2000 den Grand prix de Poésie de la Ville de Paris. Jude Stéfan starb im November 2020 mit 90 Jahren in Orbec.
22.11.2020