Stele [griech.] Pfeiler, Säule als Grab- oder Gedenkstein
Die Stelen sind der Anfang einer Sammlung kleiner literarischer „Gedenksteine“ in Form eines Gedichtes jüngst verstorbener Dichter, überwiegend fremdsprachiger, aber auch deutschsprachiger. Ausgangspunkt sind unter anderem aktuelle Todesmeldungen in den poetry news. Idee und Konzept: Hans Thill.
Marie. T. Martin
(Freiburg 1982 – ebenda 2021)
Antarktika
Die rasselnde Kette eines Raupenschleppers
kommt vom Geräusch, das die Berge machen,
wenn sie sich verschieben, das Klappern der
Klarinette, der Schlange, die Tastatur deines
Laptops. Das Rauschen des Rotbachs hat dein
Blut besungen, dass es zäh werde, die Rinde
einer Birke weiß etwas über die Beschaffenheit
der Geister in deinem Kühlschrank. Wie kalt sind die
Zungen in Antarktika, wohin ich immer mit dir
reisen wollte, um das letzte Eis zu sehen, die
Reste von Göttern in Robbenfell, Silberzimmer,
die kein Navigationsgerät findet. Die Silben ver-
schlucken uns wie winzige blinde Krebse, die
ewig am Grund einer Grotte leben. Bis der erste
Lichtstrahl trifft und wir uns sehen können:
ein Gebilde aus Kalk und singender Milch.
Aus: Rückruf. Poetenladen Verlag 2021
»Ihre Poetik ist durchlässig. offen, zugewandt. Und man kann es zurecht einen magischen Sprachrealismus nennen, der sich in diesen Texten zeigt; der etwas zu erwecken vermag.«
Tom Schulz
Marie. T. Martin wurde 1982 in Freiburg geboren und absolvierte ein Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig und eine Ausbildung zur Theaterpädagogin. Sie lebte als Autorin in Köln und Freiburg. Neben Gedichten veröffentlichte sie Erzählungen, Kurzprosa und Hörspiele. Für ihre Arbeit erhielt sie u.a. das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium und den Mörike-Förderpreis, zuerkannt von der Hauptpreisträgerin Elke Erb. Als ihr letzter Buch erschien der Gedichtband Rückruf im poetenladen. Marie T. Martin starb nach langer, schwerer Krankheit im Alter von 39 Jahren im November 2021 in ihrer Geburtsstadt Freiburg.
16.11.2021