Stele [griech.] Pfeiler, Säule als Grab- oder Gedenkstein
Die Stelen sind der Anfang einer Sammlung kleiner literarischer „Gedenksteine“ in Form eines Gedichtes jüngst verstorbener Dichter, überwiegend fremdsprachiger, aber auch deutschsprachiger. Ausgangspunkt sind unter anderem aktuelle Todesmeldungen in den poetry news. Idee und Konzept: Hans Thill.
Pierre Oster
(Nogent-sur-Marne 1933 – Paris 2020)
Drei Fragmente eines unmöglichen Hymnus – Gedicht
Die Erde ist wissen!
Woher das Wasser, woher die Felsen entspringen.
Nachts verschmelzen Ebene und Meer zu einem Wissen in Nähe der Mauern.
Und da, da, da – Einsamkeit in den Farben der Nackheit der Dinge,
Erklimmt die Sonne die Hügel …
Sie wird zu den Feldern wieder hinabsteigen,
Zu den Tümpeln, zum Gras.
Jeder Tümpel ein Tor
Durch das der Himmel das Stoppelfeld aufsucht …
Wunde Bäume, ramponierte Wege,
Das Land verstummt.
Ich bin mit Hier verschworen, einverstanden mit dem Frieden.
Die Stille
Bedeutet sie, daß die Abhänge … weit oben, gegenüber dem Gott über
Allem,
Daß die Abhänge von der Planetenbahn bis zum Pflanzenlabyrinth,
Unablässig sich schließen zur Falle in Form eines Tals?
Eines schützenden Tals.
Und Dank dem Humus, einem feuchten
Manna, der Reichhaltigkeit des Taus, der bereits feierlichen
Ruhe des Morgens, weihe ich mich dem Raum … Untertänig seiner
Schönheit
Schon bevor die Stunden leuchten …
Ah! ich erspüre die Muße
Des Morgengrauens …
Am Horizont rundet sich die Sonne in Begeisterung.
Gekrönt von der Nacht …
Ah! Die Sonne diktiert uns und entreißt uns
Eine Antwort!
Dann der winzige, elementare Regen
Schmückt die Spuren, die mich erfreuen, erstickt jetzt das Fanal
Das ich deute, fatal, das an der Oberfläche, im Innern der Tropfen,
Erzittert und sie erschöpft …
Vorstellung, Suche und Erschaffung
Eines Königreichs.
Und ich fasse eine Handvoll Reisig lasse locker.
Ich möchte Knecht sein, Wärter und Anhänger des wirren
Gedichts der Sinne.
Diener der Häuser in ihrem Schlaf.
Einer
Scheune,
Eines Gerüsts …
Ein Gebäude, eine Höhlung …
Der Himmel sorgt für uns in unserem Hang nach Unendlichkeit …
Die Zeit bildet die Wellen, wohnt
Den Wellen bei!
Bei den Wellen, bei den Wellen.
Bei den
Pfaden, die niemand erkundet!
Bei den Steinbrüchen, den leise verlassenen
Grotten
Bei neuen Felsen unter dem Gewölbe
der Klippen,
Helden des Abgrunds!
Und der Tag kommt, sie zu überraschen auf Höhe
des Schaums,
Der Gischt.
Kühn, mehr als kühn, geradezu kühn
Befragen wir sie
Halten wir der Sanftheit der Lymphe unsere Treue
Lassen wir uns leiten zur Einheit der Blüten.
Der Einheit in Fülle
Und
Zu wachsen heißt die Regel…
Ausgehend von einer Grenze oder einer Linie
von Inseln
Die überaus keusche, überaus verehrungswürdige und schreckliche
Venus
Gebietet über uns. Im Lot der Dächer funkeln die Sterne,
Die Nacht nimmt sie ein!
Ah! mich unterwerfen der Geburt der Sonne, ihrer Fülle …
Möchte Schritt für Schritt ihre Einsamkeit begleiten.
Rein, kostbar, leichtes Entflammen der Bauten im Äther,
Der vielen monumentalen Becken!
Der Tag wirft sich ins Zeug und
treidelt uns
Einen Strand entlang …
IchIch schwimme.
In seinem Schutz ein plötzlicher Hafen.
Ich besehe ihn genau, besetze ihn, verteidige seine Größe.
Nehme Inspiration.
Will ordnen, wiederfinden, sagen, lasst uns auftauchen, austreiben.
Auftauchen! Werde auf Wunsch die Worte einer Lobpreisung des Laubs verkaufen.
Balsam zieht sich über die Wunden der Hölzer.
Der Mond an unseren
Fingerspitzen
Wandelt sich und verführt uns.
Wir ahnen, daß der Nebel alles verschluckt
Vom Blech der Hallen bis zu den Säulen des Tempels und den Fundamenten der
Hallen
Zur Scheune, entzündet und verschluckt eine absolute Transparenz.
Unser Los?
Vorsichtiges Schauen,
Fepiphanie des Feuers. Belauern die
Rückkehr
Des dunklen Führers …
Ich vergesse, über den Boden zu gehen, ich träume oder beschwöre
Die Schlacht der Jahreszeiten.
Ich suche die Beute,
Die der Herbst plündert
Teile sie mir zu.
Und der Winter vertraut sie dem Morgen an.
Die Monate
befehlen
Eine Rettung der Säfte …
Gemäß einer Stimme, eines vollkommenen Gesangs.
Reglos, reglos und beweglich, wiederum reglos und beweglich,
Spürt die Sonne eine Straße auf, begründet ein Paradies des Taus (dessen
Schärfe uns streift) und macht ihm das Meer streitig.
Das Meer zieht sich zurück,
Lehrt uns den Stolz der Ebbe.
Der Wind, ein Weber.
Hißt ein Segel, entwebt es …
Stapellauf oder Schiffbruch
Wie es der Botschaft gefällt.
Aufmerksam, aktiv, heiter, gebannt,
Ist es uns bestimmt zu ergreifen, zu wählen den heiligen Staub,
Uns zu vermählen mit der ungleichen Fortuna!
Übersezt von Hans Thill. Aus wikipoems.
»Immer wieder werden wir seine Bücher […] lesen und wieder lesen, mit dem gleichen entzückten Staunen angesichts einer Poesie, an der er unblässig feilte, er, ein Sprachhandwerker, der beständig sein Werkstück vornahm, niemals zufrieden war, mit dem was er schrieb.«
Loïc Céry
Pierre Oster wurde 1933 in Nogent-sur-Marne geboren und studierte unter anderem am Collège Sainte-Croix in Neuilly und am Institut für politische Studien in Paris. Mitte der fünfziger Jahre erschienen seine ersten Gedichte, darunter der Debüt-Band Le Champ de mai, für den Pierre Oster den Prix Fénéon erhielt. Er war als Herausgeber tätig und hier für die Gesamtausgabe von Jean Paulhan mitverantwortlich. 2019 wurde er mit dem Grand Prix de Poésie der Académie française ausgezeichnet. Pierre Oster starb im Oktober 2020 im Alter von 87 Jahren in Paris.
12.11.2020