Stele [griech.] Pfeiler, Säule als Grab- oder Gedenkstein
Die Stelen sind der Anfang einer Sammlung kleiner literarischer „Gedenksteine“ in Form eines Gedichtes jüngst verstorbener Dichter, überwiegend fremdsprachiger, aber auch deutschsprachiger. Ausgangspunkt sind unter anderem aktuelle Todesmeldungen in den poetry news. Idee und Konzept: Hans Thill.
Uldis Bērziņš
(Riga 1944 – ebenda 2021)
An Neptuns Nichtvogel
Nach Fariduddin Mohammed ‘Attar
Wie ein Tor starre ich in die Baumkrone,
um den Vogel zu sehen, der da heißt: ich.
Der Wiedehopf sagt, die Phantasie sei es,
die uns eint – und wahrscheinlich hat er auch recht.
Ein Dichter wars, der hat geschrieben,
wir seien dreißig an der Zahl, aber dass wir uns darauf
auch nicht verlassen könnten, denn ein andrer Dichter
kann aus uns mehr machen oder weniger.
Wer kann das schon wissen, nur Gott kennt
die Wahrheit. Wir müssen diese Art Meer überfliegen,
denn er wartet auf uns und will mit uns sprechen.
Aus dem Lettischen übersetzt von Beata Paškevica und Claudia Gabler.
Aus: Hans Thill (Hrsg.)
Werde zum Gespenst. Gedichte aus Lettland. Wunderhorn, Heidelberg 2016.
»Uldis Bērziņš poetisches Universum ist die Weltliteratur. Heimisch ist er in der altisländischen Sagenwelt, in den Wüsten und Oasen des Alten Testaments und des Korans, er verschmäht aber auch nciht die banalste auf der Straßen aufgeschnappte Alltagsäußerung ..., um sein eigenes Gedicht in die Luft zu schießen.«
Julija Boguna / Beata Paškevica
Uldis Bērziņš wurde 1944 in Riga geboren und studierte lettische Philologie an der Universität Lettlands. Es folgten weitere Studien verschiedener Sprachen (unter anderem Türkisch, Persisch und Isländisch) in Leningrad und Moskau sowie in Island, in der Tschechoslowakei und in Schweden. Er war als Übersetzer aus zahlreichen Sprachen tätig und trat auch als Bibel- und Koranübersetzer hervor. Seinen ersten Gedichtband (Piemineklis kaza / Denkmal für eine Ziege) veröffentlichte er 1980. Ab 2002 lehrte er Türkische Sprache an der Universität Lettlands. Uldis Bērziņš starb im März 2021 in Riga.
28.04.2021