Stele [griech.] Pfeiler, Säule als Grab- oder Gedenkstein
Die Stelen sind der Anfang einer Sammlung kleiner literarischer „Gedenksteine“ in Form eines Gedichtes jüngst verstorbener Dichter, überwiegend fremdsprachiger, aber auch deutschsprachiger. Ausgangspunkt sind unter anderem aktuelle Todesmeldungen in den poetry news. Idee und Konzept: Hans Thill.
Arnaldo Calveyra
(Mansilla/Argentinien 1929 – Paris 2015)
Landschaften für den Sturz des Ikarus
Ein Rücken aus Rauch
aus Pampa,
ein kaputter Stichel,
ein stilles Plätzchen mit
modrigem Wasser.
Ein Flur mit Blick auf die Pfütze;
diese Pfütze;
Shakespeare,
der sich niemals amüsierte;
ein offener Mund
zu Ehren der Tränen.
Eine modrige Mauer
aus Wörtern;
eine Brache mit Leichen;
Stacheln in der Schleppe
des Kometen-
Fadens.
Wir blieben bis spät
im Dorf
schärften unser
Gehör.
Übersetzt von Hans Thill. Aus: Poesia reunida, Adriana Hidalgo, Buenos Aires 2008.
»Calveyra zeigt, daß das zeitgenössische Gedicht an einem Nicht-Ort entsteht, einem Zwischen-Ort. Es geht dabei nicht so sehr um Exterriorialität, sondern eher um ein Unvermögen: Dichter ist, wer nicht weiß wie er bis hierher gekommen ist, und dieses Nichtwissen ist der wichtigste Gegenstand seines Bemühens.« Edgardo Dobry
Arnaldo Calveyra wurde 1929 in Mansilla (Argentinien) geboren und veröffentlichte als Autor neben Lyrik auch Romane, Erzählungen, Theaterstücke und Essays. 1962 – nach ersten schriftstellerischen Erfolgen – ging er nach Paris, wo er bis zu seinem Tod lebte. In den achtziger Jahren mit dem Wechsel zur Demokratie in Argentinien erlebte sein Werkwichtige Neuauflagen und fand ein größeres Publikum in seinem Heimatland.