Christophe Marchand-Kiss
(Chateaubriand 1964 – ebenda 2018)
Aus: Gegen alles und in Versen
...
ist es denkbar die landschaft eines
ortes x zu beschreiben in bezug auf einen ort
y ist es denkbar landschaften überhaupt zu beschreiben
diese frage ihre frage ohne fragezeichen
formuliert enthält vielleicht bereits eine behauptung
in ihrer abscheu vor den worten schwindelerregende
wellige oberfläche sturzbach der weiss
aufschäumt vielleicht eine leugnung von all dem
was nicht abstrakte idee ist abstrakter flux
das gesicht der s. war nicht verjährende vergangenheit unbeschreiblich
oder der wille zu beschreiben fehlte ihrem gesicht indessen
keine idee von abstraktion noch abstrakter flux in ihrem spiegel dort nichts
zu sehen oder hebt sich ab ausserhalb des rahmens mit glatten
horizontalen und vertikalen kanten die sich viermal
im rechten winkel schnitten ausserhalb des hinter-
grunds deshalb einen gegenstand ein wesen zu beobachten oder halt nicht –
alles hat seine zeit.
und diese vergangene zeit und ihr gesicht ganz in der mitte
des zimmers im rahmenwerk des spiegels mit rot
nachgezogenen lippen ein carminrot blutrot crimsonrot stirnfalten
frei fallendes haar
kaum von bedeutung solange es attribut
und nicht werkzeug ist das gesicht der s. der zerbrochene spiegel bleibt
das gesicht der s. und das ist sehr gut so
...
Übersetzt von Hans Thill
»Seine rhythmisch synkopierten Sätze sind einer ständigen Beschleunigung unterworfen [...] sie verweisen auf seine Sehnsucht, die traditionelle Narration zu hinter sich zu lassen, ohne es sich bequem zu machen in etablierter Poesie.«
Véronique Pittolo
Christophe Marchand-Kiss wurde 1964 in Chateaubriand geboren. Er war Lyriker, Performer, Mitbegründer der Zeitschrift Zoum Zoom, zeitweise Mitarbeiter der »Biennale internationale des poètes in Val-en-Marne«, Übersetzer aus dem Amerikanischen (Herman Melville, Edgar Poe, John Cage, Gertrude Stein, Peter Greenaway und einige zeitgenösische Lyriker der US-Amerikanischen Szene). Bekannt wurde er als Biograph von Serge Gainsbourg (2005) und Léo Ferré (2003). Am 8. Juli 2018 starb er in Chateaubriand.