Eduardo Chirinos
(Lima/Peru 1960 – Missoula/USA 2016)
Was mein Vater wirklich von mir will
1
Nachts hatte ich einen Traum. Mein Vater und ich
auf einem Feldweg. Beide waren wir hoch zu Roß,
wechselten kaum ein Wort. In der Ferne sah man
die Schatten von ein paar Weiden, die Lichter eines
fremden, entlegenen Dorfs. Plötzlich hielt mein Vater
sein Pferd an und fragte, ob ich den Weg wüsste.
Nein, erwiderte ich. Dann sind wir richtig, sagte er.
2
Traumpferde kennen von sich aus den Rückweg.
Es galt die Zügel freizugeben, sich gehen
zu lassen. Ich war deshalb etwas besorgt,
ein wenig Angst war auch dabei. Mein Vater
dagegen schien sehr ruhig. Ich dachte, er
scheint ruhig, weil er tot ist.
3
Hier ist mein Zuhause, sagte er, als hätte er mir
eine Binde von den Augen genommen. Was ich sah,
war nicht viel. Eine kahle Hochfläche, Steine,
sandige Verwehungen, fahle Pferdeknochen, mehr nicht.
Wie findest du es? Ich wußte nicht, was ich sagen sollte.
Ich war durstig und hatte ein leichtes Kratzen die Kehle.
Es ist schön hier, sagte er, aber ab und zu käme ich gern zurück.
Warum tust du das dann nicht? fragte ich.
Weil es einfacher ist, wenn du kommst,
sagte er. Und verschwand.
Übersetzt von Hans Thill. Aus: Medicinas para quebrantamientos del halcón.
Pre-Textos, Valencia 2014
»Schon sehr frühzeitig begann seine Poesie einen Dialog mit dem westlichen poetischen Kanon, um in ihm etwas wie Widerstand gegen jene Krise zu finden, unter der die poetische Sprache Perus ebenso litt wie seine Gesellschaft«.
Carlos Villacorta
Eduardo Chirinos wurde 1950 Lima geboren und studierte Sprach- und Literaturwissenschaften u.a. an der Pontificia Universidad Católica del Perú in Lima. Seit den frühen 1980er Jahren publizierte er Gedichte und war eine Zeitlang als Kulturjournalist und Dozent in seinem Heimatland tätig. Es folgten Reisen in die USA, wo er sich später niederließ und an verschiedenen Universitäten – zuletzt am der University of Montana – Literatur unterrichtete. Er starb am 17. Februar 2016 in Missoula an Krebs.