Gerlind Reinshagen
(Königsberg 1926 – Berlin 2019)
Der Buchhalter am Montagmorgen im Büro
Schon abgestoßen von der Welt
Treibt er
Mit Mann und Maus
Auf seinem Drehstuhl
Still hinaus
Ins offene Meer
Wie schnell
Die Ufer doch enteilen
Was gestern Liebe war was Haß
Ebbt leise aus
Und wunderbar gedämpft
Die Melodien sanft herüber
Todesschreie
Aus dem fernen grünen Land der Menschen
Aus: Atem anhalten. Berlin, Suhrkamp 2018.
»Zur ›Grundausstattung‹ Gerlind Reinshagens gehörte, daß sie alle, jede und jeden von uns, durch auch so eine Art Aura, eine Blase der anderen Möglichkeiten, von der umgeben unser reales Leben sich abspielt, herausgehoben und ausgezeichnet sah. In ihren Theaterstücken und Gedichten, den Erzählungen und Romanen wurde sie nicht müde, ihre Figuren auf diese Weise zu vervollständigen. Indem sie den Freiraum der Möglichkeiten ins Spiel brachte, machte sie ihre wahre Größe sichtbar.«
Hans-Ulrich Müller-Schwefe
Gerlind Reinshagen wurde 1926 in Königsberg geboren und absolvierte zunächst eine Lehre als Apothekenhelferin, später studierte sie Pharmazie und Mitte der fünfziger Jahre an der Hochschule der Künste in Berlin. Ihre schriftstellerische Laufbahn begann sie mit dem Verfassen von Kinderbüchern und Hörspielen. Seit den achtziger Jahren publizierte sie Bühnenstücke und mehrere Romane im Suhrkamp Verlag. Zuletzt erschien unter anderem der Gedichtband Atem anhalten (Suhrkamp, 2018). Gerlind Reinshagen starb im Juni 2019 im Alter von 93 Jahren in Berlin.