Günter Herburger
(Isny 1932 – Berlin 2018)
Die Schwalben von Bangkok
Nachts sitzen sie millionenfach
auf den Drähten des Rotlichtviertels
im Abstand ihrer Flügelweiten,
bereit zum Start bei Gefahr.
Morgens, wenn besseres Licht eindringt,
schwirren sie davon, die Wolken der Wolken,
vorbei an den Kämmen der Hochhäuser,
bevor der Dunst sie teilt.
In überschwemmten Feldern
wächst ihre Nahrung, kleine Kampffische,
bei uns bekannt als Züchtungen
für Aquarien, dem Rost der Fenster.
Im Sommer wandern sie nach Sibirien aus,
achttausend Kilometer über den Pol,
unentwegt debattierend
wie Brut und Jagd sich vermehren.
Aus: Makadam. Luchterhand, Darmstadt/Neuwied 1982.
»Wichtig wie tägliches Brot sind für Herburger Gedichte. Er hat im Lauf der Jahre 8 Bücher herausgebracht, deren teils verkapptes Versmaß oder freie Rhythmen Erinnerungen einholen oder Projektionen vorauseilen. Verschlungene Sprachmanöver und Sachlichkeit verbünden sich in ihnen. Der Lyriker beharrt darauf, ein kämpferischer Romantiker zu bleiben, der die Erde zwar tief zerfurcht, doch noch zu retten sieht.«
Günter Herburger (über sich selbst)
Günter Herburger wurde 1932 in Isny im Allgäu geboren. Er studierte Sanskrit und Philosophie in München und Paris und veröffentliche 1964 seinen ersten Prosaband. Zwei Jahre später folgte der erste Gedichtband mit dem Titel Ventile (beide bei Kiepenheuer § Witsch). Er war Marathon- und Extremläufer und lief in Steppen, Wüsten und Gebirgen, auch im Packeis von Baffin-Island. Zu seinen wichtigen Werken gehört, neben zahlreichen Gedicht- und Erzählbänden, die umfangreiche Thuja-Trilogie. Er wurde mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet, so mit dem Huchel-Pres, dem Hans-Erich-Nossack-Preis und zuletzt mit dem Johann-Friedrich-von-Cotta-Literatur- und Übersetzerpreis. Günter Herburger starb am 3. Mai 2018 in Berlin.