Stele [griech.] Pfeiler, Säule als Grab- oder Gedenkstein
Die Stelen sind der Anfang einer Sammlung kleiner literarischer „Gedenksteine“ in Form eines Gedichtes jüngst verstorbener Dichter, überwiegend fremdsprachiger, aber auch deutschsprachiger. Ausgangspunkt sind unter anderem aktuelle Todesmeldungen in den poetry news. Idee und Konzept: Hans Thill.
Helga M. Novak
(Köpenick 1935 – Rüdersdorf 2013)
bin beschadet
bin beschadet und verbissen worden
gekappt und angebrochen und entwurzelt
die Schonung ist zuende
Wollmäuse am Himmel
Atlanten über mir
Mappen Karten aus Luft
ein rauschendes Fliehen
Gewölle tropft auf mich
bin beschadet meiner Triebe
verbissen worden gekappt
angebrochen und entwurzelt
entnadelt und entlaubt
ganz zugeneigt der Erde
bin ich kahl und entwirrt
kopfunten lese ich keine
Atlanten mehr kein Stern
durchdringt das Gewölbe
biete dem Heckenjäger keinen
Schutz mehr Leibstrafen
haben mich jüngst ereilt
eine Treibjagd mit Feuer
käme mir entgegen heute
Aus: Silvatica, Schöffling & Co, Frankfurt am Main 1997
»Für Helga M. Novak konnte und kann es niemals damit getan sein, über irgendeine Grenze zu gehen. Die Freiheit/die Wahrheit/das Paradies sind immer woanders. Das Gepäck, das man trägt, immer gleich schwer: Man selbst.« Julia Schoch
Helga M. Novak wurde 1935 in Berlin Köpenick geboren, sie studierte Philosophie und Literatur in Leipzig. 1966 wurde ihr aufgrund ihrer Unangepasstheit dem Staat gegenüber die Staatsbürgerschaft der DDR aberkannt. Nach längerem Aufenthalt in Island lebte sie zuletzt wechselnd in Berlin, Frankfurt sowie in Polen. Neben Lyrik verfasste sie autobiographische Romane sowie Hörspiele. Sie starb am 24. Dezember 2013 in Rüdersdorf bei Berlin.
30.12.2013