Ilse Aichinger
(Wien 1921 – Wien 2016)
Fahndungsbild
Moby Dick:
Der Rabbiner Fingerhut
ist ertrunken,
er ist gestorben,
tot.
Er war gelbäugig,
mit einem großen Mund,
und die schwarzen Insignien
saßen dicht auf ihm.
Moby Dick:
Der Rabbiner Fingerhut,
sag es auch Ahab
und den anderen,
den Steuerleuten und den Harpunieren,
und sag es ihnen schnell.
Gib es weiter,
erinnere dich.
Aus: Braun/Thill (Hg.), Punktzeit. Deutschsprachige Lyrik der achtziger Jahre.
Heidelberg, Wunderhorn 1987.
»Mit ihrer kleinen Sprache zerstört Ilse Aichinger unablässig das Selbstverständliche, die Beruhigung beim Greifbaren, die Vorstellung, das Kleine sei identisch mit dem Beschränkten und Sicheren.«. Elsbeth Pulver
Ilse Aichinger wurde 1921 als Tochter einer jüdischen Ärztin und eines Lehrers geboren und in den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft verfolgt. Nach dem Krieg studierte sie Medizin, wandte sich dann dem Schreiben zu und veröffentlichte 1948 den Roman Die größere Hoffnung. 1952 erhielt sie den Preis der Gruppe 47, dem zahlreiche bedeutende Auszeichnungen folgten, darunter Preise für ihre Lyrik (Georg-Trakl-Preis, Günter-Eich-Preis). 1978 erschien die Gedichtsammlung Verschenkter Rat (S. Fischer), die ihre zwischen 1958 und 1978 verstreut publizierten Gedichte zusammenfasst. Ilse Aichinger starb am 11.11.2016 im Alter von 95 Jahren in Wien.