Stele [griech.] Pfeiler, Säule als Grab- oder Gedenkstein
Die Stelen sind der Anfang einer Sammlung kleiner literarischer „Gedenksteine“ in Form eines Gedichtes jüngst verstorbener Dichter, überwiegend fremdsprachiger, aber auch deutschsprachiger. Ausgangspunkt sind unter anderem aktuelle Todesmeldungen in den poetry news. Idee und Konzept: Hans Thill.
Jelena Schwarz
(St. Petersburg 1948 – St. Petersburg 2010)
HOFFNUNG
In goldener Maske schläft Francesca.
Ist in strenges Schwarz gekleidet,
als ob morgen Karneval sei,
und in mir erglimmt die Hoffnung,
daß der Karneval schon bald ist.
Haben nichts zum Anziehn leider.
Ja, da werden wir hübsch staunen,
die an Auferstehn nicht glauben.
In Dunst löst sich die goldene Maske,
das Gesicht, ihr zartes, schlichtes,
wird erwachen, sich bekleiden
mit dem Fleisch der Sonne, leuchten.
Sie, Francesca, wird nicht staunen ...
Warte – noch ist tiefe Nacht ja,
schlafe du in deiner Kirche,
wie auch wir nun. Bald aber, bald ...
Aus:
Rom liegt irgendwo in Russland, (zus. mit Olga Martynova) 2006. Übersetzt von Olga Martynova und Elke Erb.
»Und da kommt eine kleine Frau im Zigeunerrock und mit einem Poem, das wie ein gekochtes Huhn in Alufolie gewickelt ist – und sie ist eine genauso große Dichterin wie Alexander Block oder Ossip Mandelstamm, Anna Achmatowa oder Marina Zwetajewa.«
Oleg Jurjew
Jelena Schwarz wurde am 17. Mai 1948 in Leningrad / St. Petersburg geboren und starb ebendort am 11. März 2010.
Die Gedichte von Jelena Schwarz erschienen in den 1970er und 1980er Jahren nur im Samizdat (Schreibmaschinenkopien), unter Pseudonym oder im Ausland. Auf Deutsch kam unter anderem der Band Das Blumentier (1999) heraus. Erst 1985 wurde ihre Lyrik offiziell in ihrer Heimat verlegt.
22.04.2010