John Ashbery
(Rochester 1927 – Hudson 2017)
Paradoxa und Oxymora
Dieses Gedicht befaßt sich mit Sprache auf einer sehr einfachen Ebene.
Schau, wie es zu dir spricht. Du schaust zum Fenster hinaus
oder gibst vor, nervös zu sein. Du hast es, aber hast es nicht.
Du verfehlst es, es verfehlt dich. Beide verfehlt ihr euch.
Das Gedicht ist traurig, weil es gern deines wäre, und es nicht sein kann.
Was ist eine einfache Ebene? Sie ist das und andere Dinge,
von denen sie ein System ins Spiel bringt. Spiel?
Ja, eigentlich schon, doch betrachte ich Spiel als
ein tieferes Außending, ein geträumtes Rollenmuster,
wie in der Verteilung von Gnade an diesen langen Augusttagen ohne Beweis.
Mit offenem Ausgang. Und bevor du dich auskennst,
geht es in Dampf und Geratter von Schreibmaschinen unter.
Einmal mehr wurde es durchgespielt. Ich denke, du bist nur da,
Um mich dazu zu kriegen, es zu tun, auf deiner Ebene, und dann bist du nicht zur Stelle,
oder hast eine andere Haltung eingenommen. Und das Gedicht
hat mich sanft zu dir hinabgesetzt. Das Gedicht bist du.
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Joachim Sartorius. Aus: John Ashbery,
Eine Welle. Ausgewählte Gedichte. München, Hanser 1988
»Das Gedicht kann bei Ashbery Wörter und Sprachfunde aus den unterschiedlichsten Bereichen zusammenziehen, Dinge, die scheinbar nicht zusammenpassen, die sich gegeneinander verkanten und die so wirken, als führten sie zunächst einmal ins Nirgendwo – und mit denen der Dichter dann doch etwas anstellt.«
Nico Bleutge
John Ashbery wurde 1927 in Rochester geboren und wuchs im Bundesstaats New York auf. Während seines Studiums an der Harvard-Universität lernte er Kenneth Koch, Frank O'Hara und James Schuyler kennen, Autoren einer Gruppe, für die später der Begriff der New York School of Poets geprägt wurde. 1975 erhielt er für den Band Self-Portrait in a Convex Mirror den Pulitzer-Preis. Bis 2008 lehrte er am Bard College im Bundesstaat New York. Auf Deutsch erschienen unter anderem die Gedichtbände Eine Welle (Carl Hanser) sowie Ein weltgewandtes Land (Luxbooks Verlag). John Ashbery starb im September 2017 neunzigjährig in Hudson.