John Montague
(1929 New York – 2016 Nizza)
Der Kampf
Als ich das Schwalbennest
Unter der Brücke fand
Knöcheltief im moorigen Fluß stehend
Über mir der dröhnende Verkehr
War ich so glücklich, daß ich losrannte
Um einen Schulkameraden zu holen
Er sollte sie sehen
Die nackte, farbgesprenkelte Zerbrechlichkeit
Der Eierschalen in ihrer Wiege
Aus Federn, Zweigen, Erde.
Brustwarm waren sie noch
Als ich sie in meiner gewölbten Hand
Zählte, Stück für Stück
Ich legte sie in seine kalte Handfläche
Wie eine Trophäe oder ein Opfer. Als ich
Mich umdrehte, um auch das letzte Ei herauszunehmen
Hörte ich ihn wegrennen
Unter die hallende Brücke.
Das Wasser spritzte auf, ich verfing mich
Im Draht des Brückenbogens, da sah ich
Wie er sie nahm und zerschlug, Stück für Stück
An einem sonnenbeschienenen Stein.
Minutenlang kämpften wir
Stehend und in das braune
Wasser des Flusses fallend
Und immer noch würde ich kämpfen
Doch inzwischen kann ich verzeihen.
Das Schöne bewundern oder zerstören
Ich erkenne, mit diesem Zwiespalt
Leben wir
Und auch mit dem bitteren Widerspruch
Der Liebe unrecht zu tun und sie zu verraten
Um dann, viel zu spät, loszurennen
Und sie mit Fäusten zu verteidigen.
Aus: (Gregor Laschen Hg.), Das Zweimaleins des Steins. Neue Gedichte aus Irland. Aus dem Englischen übersetzt von Hans-Christian Oeser und Rolf Haufs, edition die horen, 1998.
»… dieser Exilierte, in den USA geboren, in Nordirland aufgewachsen, im Süden der Insel lebend, ist mit vielfältigen Verbindungen nach Amerika und Frankreich auch einer der urbansten und kosmopolitischsten irischen Dichter.«
Hans-Christian Oeser
John (Patrick) Montague wurde 1929 als Sohn irischer Eltern in Brooklyn geboren und wuchs im nordirischen Armagh auf. Er studierte Englisch und Geschichte in Dublin und erwarb später den Master of Fine Arts an der University of Iowa. Anschließend war er an verschiedenen Universitäten als Literatur-Dozent tätig. Neben Gedichten publizierte er Kurzgeschichten und übersetzte Texte aus der irischen Sprache. Zuletzt erschienen auf Deutsch Das verlorene Notizbuch (Bibliothek der Provinz, 1992) und Erste Landschaft, erster Tod (Edition Rugerup, 2008). John Montague starb am 10. Dezember 2016 in Nizza.