Stele [griech.] Pfeiler, Säule als Grab- oder Gedenkstein
Die Stelen sind der Anfang einer Sammlung kleiner literarischer „Gedenksteine“ in Form eines Gedichtes jüngst verstorbener Dichter, überwiegend fremdsprachiger, aber auch deutschsprachiger. Ausgangspunkt sind unter anderem aktuelle Todesmeldungen in den poetry news. Idee und Konzept: Hans Thill.
Juan Gelman
(Buenos Aires 1930 – Mexiko-Stadt 2014)
Rauchschwaden
Ruhig ist der Nachmittag im Café. Das kleine
Mädchen, das bettelt, kommt vorbei und
heißt Marie. Ihre Traurigkeit
betritt die Stadt und Gesichter,
die ihr Leben für das Leben gaben und
das kleine Mädchen widerspiegelt. Der Traum
ist eine Buchrolle, die schwelt,
als wäre er ein großer Ofen. Ihre Hand sagt,
daß die Welt hohl ist.
Aus: Huellas en el agua / Spuren im Wasser. Poemas / Gedichte. Aus dem argentinischen Spanisch von Juana und Tobias Burghardt. teamart Verlag, Zürich 2003
»Gelman gilt heute als Mahner in Menschenrechtsfragen. Wider Erwarten ist er als poetischer Avantgardist ohne kämpferische Attitüden. Lapidar kommen die Verse daher und nicht ohne Humor, wenn ›geweltelt‹ oder ›geschönelt‹ wird. Flüchtig ziehen die Träume und Wünsche vorüber. Befremdlich wirkt die stete Personifizierung der Dinge. In jedem Wort wohnt unsichtbar ein Riss. «
Dorothea von Törne
Juan Gelman wurde 1930 in Buenos Aires geboren und starb im Januar 2014 in Mexiko-Stadt. Der argentinische Schriftsteller und Menschenrechtsaktivist arbeitete als Lyriker, Prosaautor, Journalist und Übersetzer. Ihm wurde 1997 der argentinische Nationalpreis für Poesie zugesprochen und 2007 der Premio Cervantes, der wichtigste Literaturpreis der spanischsprachigen Welt. Zu seinen bekanntesten dichterischen Bänden, die ins Deutsche übertragen wurden, gehört Welteln / Mundar (Gedichte 2004-2007).
25.01.2014