Stele [griech.] Pfeiler, Säule als Grab- oder Gedenkstein
Die Stelen sind der Anfang einer Sammlung kleiner literarischer „Gedenksteine“ in Form eines Gedichtes jüngst verstorbener Dichter, überwiegend fremdsprachiger, aber auch deutschsprachiger. Ausgangspunkt sind unter anderem aktuelle Todesmeldungen in den poetry news. Idee und Konzept: Hans Thill.
Leopoldo María Panero
(Madrid 1948 – Las Palmas 2014)
Gesang an die im späten Frühjahr 1939 gefallenen Anarchisten
Noch spürtest du, Puppe eines Schmetterlings, nicht das Gewicht der Luft
In Deinem noch grenzenlosen Körper gab es keine Wünsche Flügel
In Deinem noch grenzenlosen Körper fühltest Du kein blindes Licht
Oh vom Gewicht der Luft noch unberührter Diamant.
In den blauen Fernen warten Berge
Wo Adler fliegen kreuzen Schatten den Schnee
Der Wind singt in Pappeln Bäche murmeln
die Glühwürmchen glänzen in ruhigen Nächten
schwerer Harzgeruch Lagerfeuer knistern
Mit Fackeln hetzen und töten sie Wölfe
im Kampf mit Lichtern wird Schnee niedergetreten
und nichts stört den Jasmin in Blütenluft
Und ihre blonden Köpfe auf dem feuchten Gras
Ihre blauen Augen sind ein erloschener Vulkan
Im Wind gehen ihre goldenen Haare unter
aus ihren reglosen Schenkeln entweicht viel Licht
Wie weh tut es doch, sich im Schatten nach toten Körpern zu sehnen.
Das gelbliche Getreide zu Boden fallen die Früchte
Sie kehren müde zurück und da ist kein Licht in ihren Augen
Aber die Knochen glänzen und zerteilen die Nacht
Gespensterzug der um das Feuer tanzt
Es ist die Stunde der Rückkehr und da ist kein Licht in ihren Augen
Spritzer am Wegesrand zerdrückte Haare
Es ist die Stunde der Rückkehr, seid vorsichtig, sie warten
Die Glühwürmchen glänzen in ruhigen Nächten.
Der Wind singt in den Knochen wie in trockenen Pappeln
er dringt in die Brust und pfeift und lacht in den Kiefern
in den Zweigen schwebt der Gesang einer Nachtigall
und wie ein Fluss liebkost der Wind die Augenhöhlen
Den blauen Augen die Berge, die warten
Eine Fackel in der marmornen Hand eine Gasflamme
flackert unter dem Bogen
Und ihre Namen brechen kaum das Licht die Luft
Die Erde wird so schwache Asche begraben
über ihnen werden Schwalben und Raben hinwegfliegen
über ihnen werden Herden gen Süden ziehen
es wird sich über ihnen der Traum der Hirten erheben
und nackt wird die Erde mit dem Schnee sterben
Es ist die Stunde der Rückkehr aus ihren Lippen dringen
vergessene Lieder Gesichter gegen den Sonnenuntergang
Was flog von ihren Lippen zum Himmel und ihre blauen Augen
welche Lava vergossen sie auf verborgenen Hängen
Auf ihren blauen Augen ruhte der Rauhreif
einstmals war das ständige Begehren eine weggerissene Binde
Oh welch Feuer flog von ihren Lippen zum Himmel
jene roten Lippen die andere niemals vergaßen
Aber der Wind zerreißt die letzten Nebel
andere glauben es sei die Kälte in den gefallenen Händen
Sie vergessen, dass die Flamme nicht nur in ihren Augen verlischt,
dass es dann nicht die Kälte ist, sondern weniger noch als Kälte.
Aus dem Spanischen übersetzt von Susanne Detering.
»Ein radikaler Gegenhölderlin: die grellste und zugleich poetischste Stimme der Novísimos, die in den 1960er Jahren die spanischsprachige Lyrik völlig neu definierten, verbrachte die letzten drei Jahrzehnte seines Lebens in psychiatrischen Einrichtungen. Nicht als umnachteter Turminsasse und gelegentlicher Scardanelli, sondern als fortschreibender anarchischer und anarchistischer Verweigerer gesellschaftlicher Konventionen, als drogenerprobter ›poète maudit‹, aber auch als großer Kenner der abendländischen Lyriktradition der Moderne, der er revoltierend verbunden blieb.« Àxel Sanjosé
Leopoldo María Panero wurde 1948 in Madrid geboren und studierte Philosophie und Französisch in Madrid und Barcelona. Obwohl er einen beträchtlichen Teil seines Lebens in psychiatrischen Einrichtungen verbrachte und wiederholt wegen seines Widerstands gegen die Franco-Diktatur inhaftiert wurde, hinterließ er ein umfangreiches Werk. Hierzu zählen neben Lyrikbänden auch Essays und Erzählungen. Leopoldo Panero starb am 5. März 2014 in einer psychiatrischen Klinik in Las Palmas auf Gran Canaria.
Druckansicht 14.06.2014