Stele [griech.] Pfeiler, Säule als Grab- oder Gedenkstein
Die Stelen sind der Anfang einer Sammlung kleiner literarischer „Gedenksteine“ in Form eines Gedichtes jüngst verstorbener Dichter, überwiegend fremdsprachiger, aber auch deutschsprachiger. Ausgangspunkt sind unter anderem aktuelle Todesmeldungen in den poetry news. Idee und Konzept: Hans Thill.
Leung Ping-kwan
(Xinhui 1949 – Hongkong 2013)
Wellen und Blätter
Früher haben wir alles Feste gepriesen.
Nun aber erscheinst du im Teich, wirfst Wellen,
schaffst neue Bilder mit Morgen und Abend.
Am Rand spürst du einen Kristallglanz auf.
So ändert sich die Ordnung des Lichts im Teich,
mal gebrochen, mal ganz.
Ich merke an Wurzel und Blatt die Umkreisung,
das sanfte Fließen, die heimlichen Küsse der Fische.
Inmitten der Bewegung will ich einen Halt.
Kein festes Zentrum lässt sich greifen
für eine Rast. Ade, Sicherheit des Schlamms.
Ich kehre, was in mir angeschwemmt ist, nach außen und spüre
die Wellen im Wind.
Fließt der Teich über? Nein, diesmal nicht.
Im Wandel von Tag und Nacht merke ich mählich,
auch du kennst stete Furcht, die Schwärze mitten im Teich. Du
kommst und gehst, höhnst meine Starrheit.
Spähe ich in den Wind, argwöhnst du, meine Adern
kehrten ein neues, dir unvertrautes Muster hervor.
Vielleicht, sagst du leise, ist nichts ewig im Glanz der Wellen.
Ich beuge mich und hülle dich ein. Mein dürrer Schatten
geht in deinen Wellen auf, morgens und abends
zur kleinen Kühle wärmen wir einander zitternd.
Aus: Von Jade und Holz. Gedichte. Aus dem Chinesischen übersetzt von Wolfgang Kubin, Drava, Klagenfurt 2009
»Schreiben heißt die Dinge in ihrer Singularität erkennen und mit ihnen in einen Dialog treten. So soll die Gemeinsamkeit aufgespürt werden, welche alles miteinander verbindet, sei es historisch, sei es natürlich, sei es poetisch.«
Wolfgang Kubin
Leung Ping-kwan (hochchinesisch Liang Bingjun) wurde am 20. April 1949 in Xinhui, einem Stadtteil von Jiangmen in der Republik China geboren und starb am 5. Januar 2013 in Hongkong. Er lebte als Lyriker, Autor von Erzählungen und Romanen sowie als Professor für die chinesische Sprache in Hongkong. 2012 ernannte ihn die Universität Zürich zum Ehrendoktor. Zuletzt erschien von ihm 2009: Von Jade und Holz. Gedichte; übersetzt und mit einer Nachbemerkung von Wolfgang Kubin. Drava Verlag, Klagenfurt.
13.08.2013