Ludwig Harig
(Sulzbach/Saar 1927 – ebenda 2018)
Dichterleben
Johannes saß am Meer, zeitlos auf einer Insel.
ich steh an meinem Pult mit striktem Schreibtermin.
Er sitze nah bei Gott, schreibt Friedrich Hölderlin.
Ich stehe fern von ihm mit meinem Tintenpinsel.
Doch hilft kein dunkles Wort, kein ahnendes Gewinsel.
Ob leeres Pergament, ob ein Papier von DIN,
was zählt, ist Energie, ist Fleiß und Disziplin
im freien Letternspiel. Es pulst das Sprachgerinnsel.
Zwei Dichter führen wir den Schabernack im Schilde:
Wir tun als schüfe Gott nach seinem eignen Bilde
den Menschen wieder neu - doch besser als er ist.
Es wandeln Hand in Hand der Zahme und der Wilde
in unsrer neuen Welt durch kosmische Gefilde.
Da staunt der Philosoph und auch der Germanist.
Aus: Neue Deutsche Literatur. Heft 4, Berlin 2002
»Hüpft ein Springinsfeld trällernd ins Ernteviertel seines Jahrhunderts, hat er ein Geheimnis. Ludwig Harig, mit dem Schlummer eines Kindes und den Mühlradaugen eines Dichters gesegnet, turnt hinreißend im Wortzirkuszelt. Sein Jungbrunnen ist die dauernde Jugendliebe: sein kreuzweiser Paarreim auf diese Welt.«
Richard Pietraß
Ludwig Harig wurde 1927 in Sulzbach im Saarland geboren, arbeitete zunächst als Volksschullehrer und seit 1974 als freier Schriftsteller. In der Lyrik gehörte er in zu einem der wichtigsten Vertreter der Konkreten Poesie. Mitte der sechziger Jahre brachte er die Erfahrungen des experimentellen Schreibens auch ins Hörspiel ein und entwickelte sich zu einem Erneuerer des Genres. Seine Arbeit wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Marburger Literaturpreis, dem Hörspielpreis der Kriegsblinden und 1994 mit dem Friedrich-Hölderlin-Preis. Ludwig Harig starb am 5. Mai 2018 in seinem Geburtsort.