Malek Alloula
(Oran 1937 – Berlin 2015)
frauen unserer stets ehrenwerten toten in durchscheinendem schleier
frühmorgendlich entfaltete schleier
tippeln der wächterinnen
ihr, in bewegung gesetzt durch all die verrichtungen
in den arkaden und hinterhöfen der erinnerung
jene toten, die euch erwarten
unter ritueller benetzung
und das geräusch eurer schritte über den köpfen gleichsam
spuren in den düften die euch leiten
nie zu vergessen euch verdienstvolle
frauen
*
raschelnd mit grobem tuch oder ungebleichter baumwolle
in seide, in gekreppten kunstseidenstoffen
mit schleppen aus mousseline oder caraco
lumpen oder klamotten übergeworfen
frauen unserer stets ehrenwerten toten in durchscheinendem schleier
jene gefilde der zerknirschung, der gewissensbisse
in denen ihr vorangeht mit euren zwei augen
zu einem hochamt der umkehr eilend
der reue pünktlicher wacht
seit früher zeit auf solchen bahnen, die kein abirren erlauben
seherinnen immerhin von seltener diskretion
vertraut mit dem, was uns überschreitet
euer wissen unser dunkel
*
frauen, gesättigt vom weinen
nach dem fernen geliebten
und der orgelpunkt dieses schmerzes
breitet sich aus, blutiger fleck
der das fleisch quetschte
als jene grinsenden köpfe sich über die schenkel
wälzten, auf dem kopf stehend sahen sie
lippen sich öffnen zwischen den brüsten
*
witwen und waisentöchter
priesterinnen der trauer
anrührend in lüsternheit
ein volk sollte sich beschreiben nach diesem elend
dem einer träne
ungreiflicher seufzer
jenes schluchzen kommt euch an
eure brust behelligend
und ihr seht den tod rasch vorübergehen
der seine hände euch auf die Kehle legt,
um zu verweigern, was uns leben gab
Übersetzt von Hans Thill. Aus: Rêveurs/Sépultures, Sindbad, Paris, 1982.